Gnadenlose Jagd
Jetzt, wo er damit rechnen konnte, einen Kontakt zu Kersoffs Informanten zu bekommen, würde er die Sache selbst in die Hand nehmen können.
Und die Mutter würde wie Wachs in seinen Händen sein, wenn er mit dem Leben ihrer Tochter spielte.
»Sie kommen auf uns zu«, flüsterte Guillaume. »Vielleicht wollen sie sich mit uns anfreunden.«
»Runter vom Zaun«, befahl Marvot. »Das ist keine Zuneigung, was du da siehst. Du musst lernen, Absichten zu erkennen und zu deuten.«
»Was ist es denn?«
Hass. Er betrachtete die Pferde, die auf den Zaun zugaloppiert kamen. Die beiden ließen keine Gelegenheit zum Angriff aus. Sie hassten ihn seit dem Tag, an dem er sie hierhergebracht hatte. Er fragte sich, wann er sie jemals persönlich misshandelt hatte. War es Instinkt, der ihnen sagte, dass er darüber entschied, ob man ihnen Schmerz zufügte und ob sie getötet würden oder weiterleben durften?
Er sprang vom Zaun, als die Pferde einen knappen Meter von ihm entfernt stiegen.
»Papa!«
Er drehte sich zu Guillaume um, der ihn voller Angst anstarrte – und voller fieberhafter Erregung. Einen Augenblick lang überkam ihn die Wut, doch dann verebbte sie wieder. Guillaume war schließlich sein Sohn, und Marvot hätte dasselbe empfunden, wenn sein Vater in Lebensgefahr gewesen wäre. Liebe ging manchmal einher mit dem Wunsch, den Despoten vom Thron zu stoßen. Es war seine eigene Veranlagung, die er seinem Sohn vererbt hatte. »Du dachtest, sie könnten mich töten.« Er klopfte seinem Sohn auf die Schulter. »Keine Sorge. Ich nicht. Niemals. Ich werde mich nicht unterkriegen lassen. Das wird nicht passieren. Nimm das hin.«
»Ich dachte nur …«
»Ich weiß, was du gedacht hast. Ich werde es immer wissen.« Er schaute die Pferde an. »Ich denke, du solltest einmal erleben, was Tod bedeutet. Es wäre eine gute Lektion für dich. Ich habe dich schon zu lange geschützt. Als ich in deinem Alter war, habe ich meinen ersten gewaltsamen Tod erlebt. Ein junger Mann hatte meinen Vater geärgert und musste bestraft werden. Mein Vater wusste nicht, dass ich wach war und zuschaute, aber als er es später erfuhr, hat er mich gefragt, wie ich mich dabei gefühlt habe. Ich habe ihm gesagt, dass ich stolz auf ihn war, stolz auf seine Macht. Es hat mich stolz gemacht, zu sehen, dass er mit einer Handbewegung jeden vernichten konnte, der ihm nicht gehorchte. Von da an habe ich mich meinem Vater viel näher gefühlt. Er hat mich auf gute Schulen geschickt und mir eine Ausbildung zukommen lassen, auf die jeder Gelehrte sich etwas einbilden kann, aber ich habe nie wieder so etwas Wichtiges gelernt wie in jener Nacht.« Die ganze Zeit blieb sein Blick unverwandt auf den Pferden haften. »Ja, wir müssen unbedingt auch dir eine solch entscheidende Erfahrung ermöglichen, Guillaume.«
8
ES HÖRTE EINFACH NICHT auf zu bluten.
Er hatte keine Zeit, etwas anderes zu tun, als die Hand auf die Wunde zu pressen, um so vielleicht die Blutung zu stoppen, dachte Donavan, während er durch das Gebüsch hastete und in den Fluss sprang. Sie waren ihm dicht auf den Fersen.
Er würde sterben.
Verdammt. Das war kein Ort für einen guten Iren, ins Gras zu beißen. Durchhalten. Er kannte eine Höhle hinter einem Wasserfall ganz in der Nähe, wo er sich verstecken konnte. Die Höhle hatte er in der ersten Woche entdeckt, nachdem er seinen Beobachtungsposten in El Tariq bezogen hatte.
Wenn Marvot die Höhle nicht auch kannte. Sie lag zwar nicht auf seinem Grundstück, aber ziemlich in der Nähe. Falls er sie kannte, würde Donavan wie ein Fuchs in der Falle sitzen.
Darüber konnte er sich später den Kopf zerbrechen. Erst einmal musste er es bis in die Höhle schaffen und dann zusehen, dass er die elende Blutung in den Griff bekam. Er würde Kilmer anrufen und ihm berichten, was passiert war. Der würde kommen oder jemanden schicken.
Wenn es nicht zu spät war …
»Ich soll dir mit den Pferden helfen.«
Grace wandte sich von Samson ab, den sie gerade striegelte, und blickte in Luis Vazquez’ grinsendes Gesicht. »Hallo Luis. Wie geht’s?«
»Gut.« Luis kam in die Box und nahm ihr die Bürste ab. »Und dir offenbar auch. Ich hab deine Tochter gesehen. Hübsches Kind.«
»Ja, ich erinnere mich, du hast auch eine Tochter.« Sie runzelte die Stirn. »Sie war damals drei … Wie geht es ihr?«
»Mercedes? Sie ist ein Engel.« Er lächelte sie über seine Schulter hinweg an. »Aber sie entwickelt sich zu einer jungen Dame. Das macht mir
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