Gnadenlose Jagd
Ich hätte dir nicht –«
»Doch, du hattest recht.« Frankie runzelte die Stirn. »Ehrlich, es geht mir gut, Mom. Letzte Nacht hab ich ein bisschen gefroren, aber das ist alles. Außerdem hab ich mich so angestrengt, als ich die Fesseln durchscheuern wollte, dass ich die Kälte kaum gemerkt hab.« Dann flüsterte sie: »Aber die machen mir Angst. Ich glaub, wir müssen bald hier weg.«
»Das werden wir.« Grace schaute Frankie an. »Aber es wird sehr schwierig werden, und ich brauche deine Hilfe. Du musst immer genau das tun, was man von dir verlangt. Du darfst dich mit niemandem anlegen – nicht mit mir und auch nicht mit einem von den Leuten hier. Schaffst du das?«
Frankie machte ein trotziges Gesicht. »Ich weiß nicht. Die sind gemein. Du hast doch immer gesagt –«
»Ich weiß, was ich gesagt habe, aber das ist jetzt eine andere Situation. Wenn ich mir immer Sorgen machen muss, dass du dich mit ihnen anlegst, machst du es nur schwieriger für mich. Wirst du dich fügen?«
Nach kurzem Zögern nickte Frankie. »Solange sie dir nichts tun. Ich glaube, die wollen dir wehtun.«
»Solange ich ihnen gebe, was sie haben wollen, werden sie mir nichts tun.«
»Die Zwei … Jake hat mir von ihnen erzählt. Werde ich sie zu sehen bekommen?«
»Ich werde versuchen, Marvot zu überreden, dass er dich mit mir zusammenarbeiten lässt. Solange du bei mir bist, bist du in Sicherheit. Deswegen musst du mir versprechen zu gehorchen. Wenn er sieht, dass du meine Arbeit behinderst, anstatt mir eine Hilfe zu sein, wird er dich wieder fortschicken.«
»Glaubst du, er wird es zulassen, dass ich mit dir zusammenarbeite?«
Das konnte sie nur hoffen. Manchmal entstanden Fluchtmöglichkeiten aus heiterem Himmel, und falls das passierte, musste sie Frankie in ihrer Nähe haben. »Ich werde alles daransetzen, ihn dazu zu bewegen. Aber ich muss mich auf dich verlassen können, Frankie. Die Zwei können sehr gefährlich sein, und du darfst niemals weinen oder schreien, auch wenn du Angst hast, dass sie mir was tun könnten.«
Frankie dachte einen Moment lang nach. »Aber sie werden dir nichts tun, oder? Die werden sich genauso verhalten wie die Pferde bei uns zu Hause. Kannst du mit ihnen reden?«
Als Grace sah, dass Frankie zitterte, nahm sie sie wieder in die Arme. Offenbar bemühte sie sich, Grace nicht spüren zu lassen, wie es ihr ging. »Sie werden mir nichts tun.« Dann fügte sie hinzu: »Aber es ist nicht leicht, sie dazu zu bringen, dass sie mir zuhören. Es wird eine Weile dauern. Die Zwei sind schon sehr lange daran gewöhnt, zu tun und zu lassen, was sie wollen.«
»Weißt du noch, wie du den Hengst für Mr Baker zugeritten hast? Mr Baker dachte, er wär bösartig, aber du hast gesagt, er hat nur Angst. Vielleicht haben diese beiden Pferde auch Angst.«
»Vielleicht.« Sie streichelte Frankie übers Haar und überlegte, wie sie sie ablenken könnte. »Und ich finde, wir sollten aufhören, sie einfach nur ›die Zwei‹ zu nennen. Sie sind schließlich nicht irgendwelche zwei Zahnrädchen in einer Maschine, sondern Pferde. Sie sind Individuen, und ich muss mit ihnen einzeln umgehen. Lass uns ihnen Namen geben.«
»Sind sie beide weiß? Und sehen sie genau gleich aus?«
»Sie sehen einander sehr ähnlich. Aber das eine ist eine Stute und das andere ein Hengst. Sie haben beide blaue Augen, die Stute ist ein bisschen kleiner und hat eine dunklere Mähne. Der Hengst ist etwas größer und kräftiger, und er hat an einer Flanke eine kleine Narbe. Ich nehme an, durch den brutalen Einsatz von Sporen.«
»Siehst du? Bestimmt haben sie Angst, dass man ihnen wieder wehtut.«
»Wir wollten uns Namen für sie ausdenken«, erinnerte Grace ihre Tochter.
Frankie zog die Stirn kraus. »Das ist ziemlich schwer …« Sie überlegte. »Vielleicht könnten wir die Stute Hope nennen. Denn wir hoffen doch, dass sie uns mögen werden, oder?«
»Ja, das hoffen wir allerdings. Und was ist mit dem Hengst?«
Frankie schüttelte den Kopf. »Woran hast du gedacht, als du ihn zum ersten Mal gesehen hast?«
An Tod und Angst, die auf sie zugedonnert kamen. »Ich glaube, ich war so abgelenkt, dass ich an kaum etwas gedacht habe.«
Frankie schwieg eine Weile. »Ich finde, wir sollten ihn Charlie nennen.«
»Wie bitte?«
»Ich möchte ihn Charlie nennen.«
»Frankie, dieses Pferd ist nicht im Entferntesten wie Charlie. Es ist ganz wild.«
»Aber ich mochte Charlie. Es wird mir leichter fallen, dieses Pferd zu mögen, wenn es mich jedes
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