Gnadentod
eigene Wege zu gehen.
Ich dachte über diese Variante nach. Joanne, die bereit war zu sterben, ruft Mate an und spricht stattdessen mit einem Untergebenen - sagen wir, mit Burke. Mate beaufsichtigt und beurteilt Burkes Bereitschaft. Ohne zu wissen, dass Burke schon ein Experte in der feinen Kunst des zellularen Stillstands war.
Plötzlich fiel mir wieder Michael Burkes Affinität zu älteren, ernsthaft kranken Frauen ein - Patientinnen, die er in Krankenhäusern kennen gelernt hatte -, und ein ganz anderes Szenario tauchte vor meinem geistigen Auge auf.
Joanne, wie sie von einem Arzt zum nächsten gekarrt wurde und reihenweise medizinische Tests über sich ergehen lassen musste. Kernspin- und Computertomographien, Lumbalpunktionen. Prozeduren, die samt und sonders in Krankenhäusern durchgeführt wurden.
Ich stellte sie mir vor, aufgedunsen, von Schmerzen geschüttelt, in Schweigen verfallen, in einem weiteren antiseptischen Wartezimmer auf die nächste Runde von Entwürdigungen wartend, während Leute in weißen Kitteln vorbeieilen, ohne sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.
Bis es schließlich jemand tat. Ein charmanter, hilfsbereiter junger Mann. Seinem Namensschild nach ein Dr. med., trotzdem nahm er sich die Zeit, mit ihr zu reden. Wie wundervoll es war, schließlich einem Arzt zu begegnen, der tatsächlich mit ihr redetet. Oder vielleicht war Burke mehr gewesen als nur eine Zufallsbekanntschaft. Vielleicht hatte er einige der Tests selbst durchgeführt, vielleicht in seiner Funktion als Techniker, weil er noch keine Möglichkeit gefunden hatte, ein neues Mediziner-Diplom zu fälschen, aber durchaus qualifiziert war, eine Stelle als medizinisch-technischer Assistent auszufüllen.
Wie auch immer, ich musste herausfinden, wo Joanne untersucht worden war. Richard könnte es mir sagen, aber Richard war indisponiert. Bob Manitow würde es auch wissen, aber er würde meinen Anruf bestimmt nicht einmal entgegennehmen. Welchen Grund seine Abneigung gegen mich auch hatte, seine Frau teilte sie jedenfalls nicht.
Ich würde Judy anrufen, mir einen Vorwand ausdenken, warum ich sie nach Joannes Erfahrungen mit verschiedenen Krankenhäusern ausfragte. Ich wollte mehr darüber wissen, damit ich den Kindern helfen konnte. Besonders jetzt, wo Richard im Gefängnis saß. Außerdem würde ich versuchen, mehr über die Risse zu erfahren, die die Familie Doss gespalten hatten. Vielleicht auch ihre eigene Familie. Und nicht zuletzt darüber, warum ihr Ehemann so wütend war.
Besser in einem persönlichen Gespräch, bei dem man Gelegenheit hatte, nonverbale Zeichen zu erkennen. Konnte ich Judy lange genug aus ihrem Richterzimmer herausbekommen? Sie und ich hatten immer ein sehr gutes Verhältnis zueinander gehabt, und ich hatte eine Menge schwieriger Fälle für sie erfolgreich über die Bühne gebracht. Jetzt hatte sie mir den schwierigsten überhaupt zugeschoben, und ich war bereit, sie das wissen zu lassen.
Ich wählte ihre Nummer am Superior Court und rechnete damit, dass mir jemand mitteilen würde, die Richterin sei in einer Verhandlung. Stattdessen war sie selbst am Apparat. »Sie rufen wegen Richard an.«
»Die Polizei hat ihn bei mir zu Hause abgeholt. Eric und Stacy waren dabei.«
»Das kann nicht Ihr Ernst sein. Warum sollten sie so etwas tun?«
»Anweisung von oben«, sagte ich. »Sie halten Richard für den Hauptverdächtigen im Fall Mate. Haben Sie irgendetwas am Gericht läuten hören?«
»Nein«, sagte sie, »nur das, was in den Nachrichten war. Bob und ich waren gestern Abend in Newport und haben erst gestern Nacht davon erfahren, als wir nach Hause kamen und die Polizeiwagen vor Richards Haus stehen sahen. Ich kann das einfach nicht glauben, Alex. Es ergibt keinen Sinn.«
»Richard als Mörder.«
Sie schwieg einen Moment lang. »Dass Richard so etwas Dummes tut.«
»Auf der anderen Seite«, sagte ich, »hat er Mate tatsächlich gehasst und aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht.«
»Halten Sie ihn für schuldig?«
»Ich spiele nur den Advocatus Diaboli.«
»Die lasse ich in meiner Kammer nicht zu - Im Ernst, Alex, falls Richard Böses im Schilde führte, warum sollte er dann Reklame dafür machen? All die harten Sprüche, das war bloß Richard, der seine typische Vorstellung lieferte. Große Reden schwingen, anderen die Schuld zuweisen. Darin war er immer besonders gut.«
»Wem außer Mate hat er sonst noch Schuld zugeschoben?«
»Niemandem im Einzelnen - es ist einfach sein allgemeiner
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