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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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ließen eine lebensmüde, roboterartige Rezitation der Tagesgerichte vom Stapel, als befänden sie sich bei einem Vorsprechtermin. Was ist nur aus all den Kindern geworden, die sich keinen Namen beim Film gemacht haben?
    Ich fuhr die Hilgard hinunter, vorbei an Häusern von Studentinnenverbindungen im Westen und dem Botanischen Garten der Uni im Osten. Der Weg zum Restaurant dauerte nur zehn Minuten. Ich wohne nicht weit vom Village entfernt, wage mich aber selten in die Kakophonie.
    Ein Parkwächter in einem roten Jackett stand müßig am Bordstein. Ich quetschte mich zwischen zwei Porsche Boxster, und der Parkwächter beäugte den Seville, als wäre er ein Museumsstück.
    Um exakt acht Uhr dreißig betrat ich das Restaurant. Die Hostesse war eine hohlwangige Brünette mit strähnigen Haaren, die hart an einer Imitation von Morticia Adams arbeitete. Judy Manitow war noch nicht eingetroffen. Es dauerte eine Weile, bis ich Tish auf mich aufmerksam gemacht und herausgefunden hatte, dass das JTJ im Reservierungsbuch für Judy the Judge stand. Tish dirigierte mich zur Bar. Ich sah über ihre Schulter in das halb leere Restaurant und schenkte ihr mein nettestes jungenhaftes Grinsen. Seufzend klimperte sie mit den Wimpern und gestattete mir, ihr zu einem Ecktisch zu folgen.
    Das Restaurant war zwar nur zur Hälfte gefüllt, aber laut. Schallwellen prallten gegen gebleichte Holzwände, ostentativ abgenutzte Bodendielen und Deckenbalken mit künstlichem Wurmstich. Wo man die Wände verputzt hatte, wiesen sie einen ungesunden sonnenverbrannten Pinkton auf.
    Die Eisentische waren mit rosafarbenen Leinentüchern bedeckt und die Stühle mit dunkelgrünem Velours bezogen.
    Tish blieb auf halber Strecke plötzlich stehen, seufzte erneut und drehte sich um, während sie ihren Kopf kreisen ließ, als wärmte sie sich für Fitnessübungen auf. »Ich liebe einfach die Art, wie das Licht von diesem Punkt aus den Raum trifft.«
    »Fantastisch.« Beleuchtung, Kamera, Action. Schnitt.
     
    Der Tisch war kaum groß genug für eine Patience. Zwei Kellner lungerten in der Nähe herum, machten aber keine Anstalten, sich um mich zu kümmern. Schließlich kam ein hispanischer Aushilfskellner zu mir und fragte, ob ich etwas zu trinken haben wolle. Ich sagte, ich würde warten, worauf er sich bedankte und mir eine Karaffe Wasser brachte.
    Zehn Minuten später traf Judy mit gehetztem Gesichtsausdruck ein. Sie trug ein eng anliegendes pflaumenfarbenes Strickkostüm, dessen Rock fünf Zentimeter über ihren Knien endete, und passende Pumps mit gefährlich hohen Absätzen. Ihre cremefarbene Handtasche hatte eine funkelnde Schließe, die wie ein Scheinwerfer blinkte, und als sie mit raschen Schritten näher kam, musste ich unwillkürlich an einen frisierten Kleinwagen denken.
    Sie sah sogar noch magerer aus, als ich sie in Erinnerung hatte, die Knochen des Gesichts traten unter ihrer aschblonden, tennisfreundlichen Kurzfrisur scharf hervor. Auch an ihrem Hals und an beiden Händen funkelte es. Als sie näher kam, sah sie mich, hob zwei Finger und beschleunigte ihre Schritte, sodass ihre Absätze ein regelrechtes Kastagnetten-Solo auf dem Dielenboden hinlegten. Die Kellner wechselten beifällige Blicke, während sie ihr nachsahen, und ich fragte mich, ob sie glaubten, sie durchschaut zu haben.
    Gut aussehende, wohlhabende Frau, die sich eine Nacht lang in der Stadt amüsieren möchte. Die Chancen, dass sie als Vorsitzende Richterin am Superior Court identifiziert würde, waren nicht allzu hoch. Ich stand auf, um sie zu begrüßen, und sie gab mir einen Kuss auf die Wange. Als ich ihr den Stuhl hielt, tat sie so, als sei sie derartige Gesten gewöhnt.
    »Schön, Sie wiederzusehen, Alex. Obwohl ich sicher bin, dass wir beide uns lieber unter anderen Umständen getroffen hätten.«
    Einer der herumlungernden Kellner trat an den Tisch, lächelte Judy an und öffnete den Mund. Bevor er etwas sagen konnte, ergriff sie bereits das Wort. »Ein Gin Tonic. Sapphire Gin. Das Eis nicht gestoßen. Bitte.«
    Er zog einen Schmollmund, und seine Augen wanderten zu mir. »Sir?«
    »Eistee.«
    »Sehr gut.«
    Als er ging, sagte Judy: »Sehr gut. Ich bin so froh, dass die Kinder einverstanden sind.« Sie lachte. Zu laut, zu scharf. »Ich weiß nicht, warum ich dieses Lokal vorgeschlagen habe, Bob und ich gehen nicht mehr hierher … Entschuldigen Sie, Alex, ich komme mir gemein vor. Ich brauche erst eine Weile, um mich zu entspannen und wieder ein Mensch zu werden. Das

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