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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Milo arbeiten, ohne bestimmte Dinge zu klären?
    Während mir die Frage im Kopf herumging, tauchten langsam all die moralischen Verästelungen auf. Manche Antworten werden von den Regelheften abgedeckt, andere nicht. Das wirkliche Leben geht immer über die Regelhefte hinaus.
    Voller Unentschlossenheit kam ich zu Hause an.
    Das Haus war ruhig, kühl dank der Kiefern, die es umgaben, die Eichenböden glänzend, und die weißen Wände schimmerten metallisch durch das Licht, das aus dem Osten hereinfiel. Robin hatte Toast und Kaffee stehen lassen. Von ihr war nichts zu sehen, und auch der Hund hechelte nicht zum Empfang. Die Morgenzeitung lag gefaltet auf dem Küchentresen.
    Sie und Spike waren hinter dem Haus im Atelier. Bei ihr waren einige große Aufträge aufgelaufen. Da wir beide unsere Verpflichtungen im Kopf gehabt hatten, hatten wir seit dem Aufstehen wenig miteinander gesprochen.
    Ich goss mir eine Tasse Kaffee ein. Die Stille war irritierend. Das Haus war früher kleiner und dunkler gewesen, wesentlich weniger komfortabel und deutlich unpraktischer. Ein Psychopath hatte es vor ein paar Jahren niedergebrannt, und wir hatten es neu aufgebaut, eine Verbesserung, wie alle anderen fanden. Aber wenn ich alleine war, kam es mir manchmal zu groß vor.
    Es ist lange her, dass ich so getan habe, als wäre ich emotional unabhängig. Wenn man einen Menschen lange Zeit liebt und wenn diese Liebe sowohl in Routine als auch in Erregung eingebettet ist, dann nimmt seine Gegenwart zu viel Raum ein, um unbeachtet zu bleiben. Ich wusste, dass Robin ihre Arbeit unterbrechen würde, wenn ich im Atelier vorbeischauen würde, aber mir stand der Sinn im Augenblick nicht nach Gesellschaft, daher griff ich zum Küchentelefon und rief meinen Telefonservice an. Und das Problem des erfolglosen Anrufs löste sich von selbst.
    »Morgen, Dr. Delaware«, sagte die Vermittlung. »Nur eine Nachricht, erst vor ein paar Minuten eingegangen. Ein Mr. Richard Doss, hier ist die Nummer.«
    Die Vorwahl lautete 805, also war es nicht Doss’ Büro in Santa Monica, sondern eine Nummer in Ventura oder Santa Barbara County. Ich tippte sie ein, und eine Frau sagte: »RTD Properties.«
    »Dr. Delaware hier, ich sollte Mr. Doss zurückrufen.«
    »Hier ist sein Weiterleitungsservice, einen Moment.«
    Es klickte verschiedentlich in meinem Ohr, gefolgt von einem statischen Rauschen und schließlich einer vertrauten Stimme. »Dr. Delaware. Lang ist’s her.«
    Näselnder Tonfall, Stakkato-Vortrag, der Anflug von Sarkasmus. Richard Doss klang immer so, als mache er sich über jemanden oder etwas lustig. Es war mir nie ganz klar, ob er das absichtlich tat oder ob es nur eine Marotte von ihm war.
    »Morgen, Richard.«
    Es rauschte wieder. Mitten in seiner Erwiderung brach seine Stimme ab. Mehrere Sekunden vergingen, bevor er wieder zu hören war. »Vielleicht werden wir wieder unterbrochen, ich bin hier in der finstersten Provinz, in Carpinteria. Ich sehe mir ein Stück Land an. Ein Avocadohain, der sich wunderbar als kleines Einkaufszentrum machen wird, wenn ich ihn in meine kaltblütigen Kapitalistenfinger bekomme. Wenn die Verbindung zusammenbricht, brauchen Sie mich nicht anzurufen, ich melde mich wieder. Die gewohnte Nummer?«
    Er übernahm das Kommando, wie immer. »Dieselbe, Richard.« Nicht Mr. Doss, weil er von Anfang an darauf bestanden hatte, dass ich ihn mit seinem Vornamen anredete.
    Eine der vielen Regeln, die er aufgestellt hatte. Die Illusion der Ungezwungenheit, ein ganz normaler Typ. Soweit ich das beurteilen konnte, gab Richard T. Doss nie seine Reserve auf.
    »Ich weiß, warum Sie angerufen haben«, sagte er. »Und warum ich Ihrer Ansicht nach zurückrufe.«
    »Mates Tod.«
    »Ein Grund zum Feiern. Der Hurensohn hat endlich bekommen, was er verdient.« Ich reagierte nicht.
    Er lachte. »Kommen Sie, Doktor, seien Sie kein Spielverderber. Ich begegne den Herausforderungen des Lebens mit Humor. Würde ein Psychologe das nicht empfehlen? Ist Humor nicht eine gute Verarbeitungstechnik?«
    »Ist Dr. Mates Tod etwas, das Sie verarbeiten müssen?«
    »Nun ja …« Er lachte wieder. »Auch eine positive Veränderung ist eine Herausforderung, richtig?«
    »Richtig.«
    »Sie denken darüber nach, wie nachtragend ich bin - ich war übrigens nicht hier, als es passiert ist. Ich war in San Francisco, wo ich mir ein Hotel angesehen habe. Mit zehn klinisch depressiven Bankiers aus Tokio, die vor fünf Jahren dreißig Millionen dafür gezahlt haben und jetzt

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