Gnadentod
Hand weg. »Das klingt wie ein Vielleicht.«
»Das ist exakt der Grund, warum ich nicht darüber reden wollte. Absolut nichts von dem, was ich über Richard Doss weiß, deutet für mich daraufhin, dass er fähig wäre, ein solches Maß an Brutalität zu entwickeln. Okay?«
»Das«, sagte er, »klingt nach einem Sachverständigen im Zeugenstand.«
»Dann sei glücklich und zufrieden. Wenn ich vor Gericht auftrete, werde ich nämlich gut bezahlt.«
Wir starrten uns an. Er rückte ein wenig von mir ab und sah an mir vorbei zu Alice Zoghbies Haus. Zwei Eichelhäher hüpften zwischen den Zweigen der Platane auf und ab.
»Das ist ja ein Ding«, sagte er.
»Was meinst du?«
»All die Fälle, die wir beide zusammen bearbeitet haben, und jetzt ist die Atmosphäre ein ganz klein wenig angespannt. «
Die letzten Wörter sprach er mit einem irischen Akzent aus. Ich bemühte mich zu lachen, eher um Zeit und Raum zu füllen als aus Fröhlichkeit. Die Bewegung begann in meinem Zwerchfell, erstarb aber in einem tonlosen Gurgeln, als mein Mund sich weigerte zu gehorchen.
»Hey«, sagte ich. »Ist diese Freundschaft noch zu retten?«
»Okay«, sagte er, als hätte er mich nicht gehört. »Ich stelle dir jetzt mal eine direkte Frage: Gibt es irgendwas, was du weißt und was ich wissen sollte? Über Richard Doss oder etwas anderes?«
»Meine direkte Antwort ist: Nein.«
»Willst du aus dem Fall aussteigen?«
»Willst du das?«
»Nur, wenn du es willst.«
»Ich will es nicht, aber -«
»Warum würdest du denn weitermachen wollen?«, fragte er.
»Aus Neugier.«
»Worauf?«
»Wer es getan hat und warum. Und wenn ich mit der Polizei herumfahre, fühle ich mich sicher wie in Abrahams Schoß. Aber wenn du willst, dass ich aufhöre, dann sag’s nur.«
»Herr im Himmel«, sagte er. »Neindu-neindu-neindu-neindu-raemdw-neindu.«
Jetzt lachten wir beide. Er schwitzte wieder, und ich hatte Kopfschmerzen.
»Also«, sagte er. »Weitermachen? Du nimmst den Weg durchs Gebirge und ich den durch die Ebene -«
»Und ich bin vor dir in Schottland.«
»Was interessiert mich Schottland«, sagte er. »Es geht um den Mulholland Drive - es wird interessant sein zu hören, was Mr. Doss zu sagen hat. Vielleicht rede ich selbst mit ihm. Wann kommt die Tochter zu dir - wie heißt sie noch?«
»Stacy. Morgen.«
Er schrieb es sich auf. »Wie viele Kinder gibt es noch in der Familie?«
»Einen zwei Jahre älteren Bruder. Eric. Er ist in Stanford.«
»Morgen«, sagte er. »Wegen irgendwelcher Collegeangelegenheiten.«
»Du sagst es.«
»Ich spreche vielleicht auch noch mit ihr, Alex.«
»Sie hat Mate nicht auseinander genommen.«
»Wenn du dich so gut mit ihr verstehst, frag sie doch einfach, ob ihr Daddy ihn nicht auf dem Gewissen hat.«
»Na klar.«
Er legte den Gang ein.
Ich sagte: »Ich würde gern mal einen Blick in Mates Wohnung werfen.«
»Warum?«
»Um zu sehen, wie das Genie gelebt hat. Wo liegt sie?«
»In Hollywood, wo sonst?«
9
Die Wohnung, in der Mate gewohnt hatte, war im oberen Stockwerk eines siebzig Jahre alten Zweifamilienhauses an der North Vista zwischen Sunset und Hollywood Boulevard. Seine Vermieterin, eine winzige Greisin namens Mrs. Ednalynn Krohnfeld mit steifem Gang und Hörgeräten in beiden Ohren, lebte im Erdgeschoss. Ein Mitsubishi-Fernseher mit einem 150-Zentimeter-Bildschirm beherrschte das vordere Zimmer, und nachdem sie uns hineingelassen hatte, kehrte sie zu ihrem Sessel zurück, faltete eine gehäkelte braune Decke über ihre Knie und widmete sich wieder der Talkshow, die gerade lief. Die Hautfarben auf dem Bildschirm waren gebrochen, Fleisch im karotinfarbenen Orange eines atomaren Sonnenbrands. Eine billige Talkshow, zwei Frauen aus der Unterschicht warfen sich gegenseitig wüste Beschimpfungen an den Kopf und lösten damit eine Flut von Pieptönen aus. Die Moderatorin, eine Blondine mit einer geradezu kriminellen Frisur und Eidechsenaugen hinter einer übergroßen Brille, gab vor, die Stimme der Vernunft zu repräsentieren.
Milo sagte: »Wir sind hier, um uns Dr. Mates Wohnung noch mal anzusehen, Mrs. Krohnfeld.«
Keine Antwort. Das Bild eines Mannes mit tiefliegenden Augen erschien in der rechten oberen Ecke des Fernsehers. Ein Bursche mit Zahnlücken und einem anzüglichen, selbstgefälligen Grinsen. Eine Bildunterschrift besagte: Duane, Deneshas Mann, aber Jeanines Liebhaber.
»Mrs. Krohnfeld?«
Die alte Frau machte eine Vierteldrehung, ohne jedoch den Blick vom Fernseher
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