Gnadentod
krank wurde, haben die beiden viel zusammen gemacht - Joggen, Tanzen, Tennis spielen, Reisen. Als sie aufgehört hat zu leben, war er auf sich allein gestellt. Das hat ihn so missmutig werden lassen.«
Ihre Worte klangen distanziert, wie eine klinische Bewertung. Die Familienbeobachterin? Manchmal nehmen Kinder diese Rolle ein, weil sie leichter zu erfüllen ist als teilzunehmen.
»Das muss schwierig für ihn gewesen sein, sich der neuen Situation anzupassen«, sagte ich. »Ja, aber schließlich hat er’s kapiert.«
»Was?«
»Dass er Dinge für sich tun muss. Er findet immer eine Möglichkeit, sich anzupassen.«
Das klang anklagend. Ich hob fragend eine Augenbraue.
»Seine bevorzugte Methode, mit Stress umzugehen, besteht darin, immer auf Trab zu bleiben. Geschäftsreisen. Sie wissen, was er macht, nicht wahr?«, sagte sie.
»Erschließung von Immobilien.«
Sie schüttelte den Kopf, als hätte ich die falsche Antwort gegeben, sagte aber: »Ja. Marode Immobilien. Er macht Geld aus den Fehlern anderer Leute.«
»Mir leuchtet ein, warum er die Welt als brutal betrachtet.«
»O ja. Die brutale Welt maroder Immobilien.« Sie lachte und seufzte. Ihre Hände lösten sich voneinander. Sie legte das große grüne Buch auf einen Beistelltisch und schob es beiseite, dann legte sie ihre Hände in ihren Schoß zurück. Offen. Schutzlos. Sie sackte ein wenig zusammen. Auf einmal schien sie wirklich froh, hier zu sein.
»Er nennt sich selbst einen herzlosen Kapitalisten«, sagte sie. »Wahrscheinlich weil er weiß, dass jeder andere das von ihm sagt. In Wirklichkeit ist er ziemlich stolz auf sich.«
Ein Unterton von Verachtung klang da mit, leise und stetig wie die monotone Gebetsstimme eines Mönchs.
Ich saß da und wartete auf mehr. Sie schlug die Beine übereinander, sackte noch mehr in sich zusammen und fuhr sich durchs Haar, als wolle sie Gleichgültigkeit demonstrieren.
Sie sind dran, besagte ihr Schulterzucken. »Ich habe langsam den Eindruck, dass Sie sich nicht besonders für das Immobiliengeschäft interessieren.«
»Wer weiß? Ich denke darüber nach, ob ich Architektin werden soll, also kann ich es nicht so sehr hassen. In Wirklichkeit hasse ich geschäftliche Dinge überhaupt nicht, nicht wie viele meiner Altersgenossen. Es ist nur so, dass ich lieber etwas bauen würde als ein … ich wäre lieber produktiv.«
»Lieber als was?«
»Ich wollte sagen, als ein Aasgeier zu sein. Aber das ist meinem Vater gegenüber unfair. Er sorgt nicht dafür, dass irgendjemand scheitert. Er ist nur auf der Suche nach Schnäppchen. Daran ist nichts falsch, es ist nur nicht das, was ich gern tun würde - eigentlich habe ich keine Ahnung, was ich gern tun würde.« Sie läutete eine imaginäre Glocke. »Ding-dong, große Einsicht. Ich habe keine Ziele.«
»Und was ist mit Architektur?«
»Ich sage das wahrscheinlich nur, um den Leuten überhaupt irgendeine Antwort zu geben, wenn sie mich fragen. Was weiß ich, vielleicht verachte ich am Ende auch die Architektur.«
»Interessieren Sie sich für irgendwelche speziellen Fächer in der Schule?«, sagte ich.
»Früher mochte ich Naturwissenschaften. Eine Zeit lang dachte ich, Medizin wäre eine gute Wahl. Ich habe sämtliche naturwissenschaftlichen Kurse für Fortgeschrittene besucht und gute Noten bei den Prüfungen bekommen. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«
»Was hat Sie dazu gebracht, Ihre Meinung zu ändern?« Der Tod Ihrer Mutter, der Naturwissenschaftlerin?
»Es scheint nur so … nun, zum einen ist Medizin nicht mehr, was es mal war, oder? Becky hat mir erzählt, dass ihr Vater seinen Beruf nicht mehr ausstehen kann. All die Krankenversicherungen, die ihm vorschreiben, was er tun darf und was nicht. Dr. Manitow nennt es mussgelenkte Fürsorge. Nach all den Jahren des Studiums wäre es nett, ein bisschen berufliche Freiheit zu haben. Mögen Sie Ihren Job eigentlich?«
»Sehr.«
»Psychologie«, sagte sie, als wäre das Wort vollkommen neu für sie. »Ich war eher interessiert an wirklicher Wissenschaft - oh, Entschuldigung, das war unhöflich! Was ich meine, war harte Wissenschaft -«
»Ich bin nicht beleidigt.« Ich lächelte.
»Ich meine, ich halte viel von Psychologie. Ich dachte einfach mehr in Kategorien der Chemie oder Biologie. Aus persönlichen Gründen. Ich bin gut in organischen Dingen.«
»Psychologie ist tatsächlich eine weiche Wissenschaft«, sagte ich. »Das ist es zum Teil, was ich so daran mag.«
»Was meinen Sie«, sagte
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