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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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sie.
    »Die Unvorhersehbarkeit der menschlichen Natur«, sagte ich. »Durch sie ist gewährleistet, dass das Leben interessant bleibt und ich auf Draht.«
    Sie dachte darüber nach. »In meinem Junior jähr war ich in einem Psychologie-Kurs. Ein Grundkurs ohne Schein, eigentlich lachhaft. Aber er war tatsächlich interessant… Becky ist völlig darauf abgefahren und hat versucht, jedes Symptom, über das wir etwas gelernt haben, jemandem anzuhängen. Danach wurde sie mir gegenüber richtig kühl - fragen Sie mich nicht warum, ich weiß es nicht. Ist mir auch egal, wir haben keine gemeinsamen Interessen mehr, seit die Barbie-Puppen im Schrank verschwunden sind … Nein, ich glaube nicht, dass irgendeine Art von Medizin etwas für mich ist. Offen gesagt, nichts davon kommt mir sehr wissenschaftlich vor. Meine Mutter war bei jedem Facharzt, den die Menschheit kennt, und nicht einer konnte irgendwas für sie tun. Wenn ich mich jemals entscheide, etwas mit meinem Leben anzufangen, dann will ich, glaube ich, etwas tun, was produktiver ist.«
    »Etwas mit schnellen Resultaten?«
    »Nicht unbedingt schnell«, sagte sie. »Nur einleuchtend.« Sie zog den Pferdeschwanz noch vorn und spielte mit den krausen Haarspitzen. »Ist es denn so schlimm, wenn ich im Augenblick noch keine genauen Zielvorstellungen habe? Ich bin das zweite Kind, ist das nicht normal? Mein Bruder hat genug Zielstrebigkeit für uns beide, er weiß genau, was er will: den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften gewinnen und dann Milliarden verdienen. Eines Tages werden Sie in Fortune über ihn lesen.«
    »Das ist eine ziemlich präzise Vorstellung.«
    »Eric hat immer gewusst, was er will. Er ist ein Genie - hat sich das Wall Street Journal geschnappt, als er fünf war, einen Atikel über Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Sojabohnen gelesen und seiner Kindergartengruppe am nächsten Tag einen Vortrag gehalten.«
    »Ist das eine Familiengeschichte?«, sagte ich.
    »Was meinen Sie damit?«
    »Es klingt wie etwas, das Sie von Ihren Eltern gehört haben. Es sei denn, Sie können sich selbst daran erinnern. Aber Sie waren damals erst drei.«
    »Das stimmt«, sagte sie verwirrt. »Ich glaube, mein Vater hat sie mir erzählt, es könnte aber auch meine Mutter gewesen sein. Mein Vater erzählt die Geschichte heute noch. Wahrscheinlich war er es.«
    Ich machte mir im Geiste eine weitere Notiz: Was für Geschichten erzählt Dad über Stacy?
    »Hat das etwas zu bedeuten?«, fragte sie.
    »Nein«, sagte ich. »Familiengeschichten interessieren mich nur. Demnach ist Eric zielbewusst.«
    »Zielbewusst und ein Genie. Ich meine das im wahrsten Sinn des Wortes. Er ist der klügste Mensch, den ich kenne. Aber auch kein Stubenhocker, er ist aggressiv und hartnäckig. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, lässt er nicht mehr locker.«
    »Mag er Stanford?«
    »Er mag Stanford und Stanford mag ihn.«
    »Ihre Eltern waren auch dort?«
    »Familientradition.«
    »Fühlen Sie sich dadurch unter Druck gesetzt, auch dorthin gehen zu müssen?«
    »Ich bin sicher, Dad wäre begeistert. Vorausgesetzt, ich würde angenommen.«
    »Haben Sie Zweifel daran?«
    »Ich weiß nicht - ist mir auch ziemlich egal.«
    Ich hatte etwas Platz zwischen unseren Sesseln gelassen, da ich es vermeiden wollte, ihr zu sehr auf die Pelle zu rücken. Aber jetzt beugte sie sich nach vorn, als sehnte sie sich nach Berührung. »Ich mache mich nicht schlecht, Dr. Delaware. Ich weiß, dass ich klug genug bin. Nicht so wie Eric, aber trotzdem noch genug. Ja, ich würde wahrscheinlich angenommen werden, nicht zuletzt, weil meine Eltern da waren. Aber die Wahrheit ist, all das ist an mich verschwendet - Intelligenz ist an mich verschwendet. Intellektuelle Ziele, mich Herausforderungen stellen, die Welt zu verändern oder einen Haufen Kohle zu verdienen - das ist mir alles sowieso völlig egal. Das klingt vielleicht gedankenlos, aber so ist es nun mal.«
    Sie lehnte sich wieder zurück. »Wie viel Zeit haben wir noch, bitte? Ich habe meine Uhr zu Hause liegen lassen.«
    »Zwanzig Minuten.«
    »Ach. Nun ja …« Sie fing an die Wände zu mustern.
    »Haben Sie heute viel zu tun?«, fragte ich.
    »Nein, eher im Gegenteil. Ich habe meinen Freundinnen nur gesagt, dass ich mich mit ihnen am Beverly Center treffe. Der Schlussverkauf hat angefangen, genau die richtige Zeit für gedankenloses Shopping.«
    Ich sagte: »Klingt gut.«
    »Klingt stumpfsinnig.«
    »An Freizeit ist nichts auszusetzen.«
    »Ich sollte

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