Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
Vom Netzwerk:
Richards - ihre Haut hatte die Farbe von Sahne. Dünne Haut, sodass an Wangenknochen und Schläfen Spuren von Blau zum Vorschein kamen. An ihrem linken Mittelfinger hatte sich die aufgekratzte Nagelhaut gerötet und war leicht angeschwollen.
    Sie umfasste ihr Buch fester und folgte mir hinein. »Das ist ein schöner Teich, an dem ich vorbeigekommen bin. Koi, richtig?«
    »Richtig.«
    »Die Manitows haben auch einen Koi-Teich, einen großen sogar.«
    »Tatsächlich.« Ich war mehrere Dutzend Mal in Judy Manitows Richterzimmer gewesen, hatte sie nie aber zu Hause besucht.
    »Dr. Manitow hat einen unglaublichen Wasserfall eingebaut. Man könnte darin schwimmen. Ihrer ist eigentlich … zugänglicher. Ein schöner Garten.«
    »Danke.«
    Wir betraten das Büro, und sie setzte sich mit dem grünen Buch auf ihrem Schoß. Die Wahl des richtigen Colleges für Sie!, stand in gelben Lettern darauf.
    »Sie hatten keine Schwierigkeiten, den Weg zu finden?«, sagte ich und setzte mich ihr gegenüber.
    »Überhaupt nicht. Vielen Dank, dass ich herkommen durfte, Dr. Delaware.«
    Ich war es nicht gewohnt, dass sich Teenager bei mir bedankten. »Ist mir ein Vergnügen, Stacy.«
    Sie wurde rot und wandte sich ab.
    »Unterhaltungslektüre?«, fragte ich.
    Noch ein bemühtes Lächeln. »Nicht ganz.«
    Sie sah sich im Büro um.
    »Okay«, sagte ich, »haben Sie irgendwelche Fragen?«
    »Nein, danke«, erwiderte sie, als hätte ich ihr etwas angeboten.
    Ich lächelte und wartete.
    »Ich glaube, ich sollte über meine Mutter reden«, sagte sie. »Wenn Sie wollen.«
    »Ich weiß nicht, ob ich will.« Ihr rechter Zeigefinger wanderte zu ihrer linken Hand hinüber und fand die entzündete Nagelhaut. Sie strich darüber und kratzte daran. Ein Blutstropfen perlte hervor, den sie mit ihrer rechten Hand bedeckte.
    »Dad sagt, er macht sich Sorgen um meine Zukunft, aber ich nehme an, ich sollte über Mom reden.« Sie senkte den Kopf ein wenig, sodass ihr die schwarzen Locken ins Gesicht fielen. »Ich meine, das ist vermutlich das Richtige für mich. Das sagt zumindest meine Freundin - sie will Psychologin werden. Becky Manitow, die Tochter von Richterin Manitow.«
    »Becky hat sich ein bisschen als Amateurtherapeutin versucht?«
    Sie schüttelte den Kopf. Ihre Augen waren genauso dunkelbraun wie die ihres Vaters, wenn auch in einem völlig anderen Ton. »Becky ist selbst in einer Therapie gewesen und hält es für das ideale Mittel gegen alles und jedes. Sie hat eine Menge Gewicht verloren, mehr sogar, als ihre Mutter wollte, deshalb haben sie sie zu einer Therapie geschickt, und jetzt will sie selbst Therapeutin werden.«
    »Sie beide sind Freundinnen?«
    »Früher schon. Im Grunde ist Becky keine … Ich will nicht gemein sein … sagen wir einfach, sie mag die Schule nicht besonders.«
    »Keine Intellektuelle.«
    Sie lachte leise. »Nicht direkt. Meine Mom hat ihr Nachhilfeunterricht in Mathe erteilt.«
    Judy hatte nie über irgendwelche Probleme ihrer Tochter gesprochen, dazu hatte sie auch keinen Grund gehabt. Trotzdem fragte ich mich, warum Judy Stacy nicht an Beckys Therapeutin verwiesen hatte. Vielleicht war es ihr zu nahe vor ihrer eigenen Tür erschienen, und sie hatte die Dinge lieber fein säuberlich getrennt.
    »Nun ja«, sagte ich, »egal, was Betty oder sonst jemand sagt, Sie wissen selbst, was am besten für Sie ist.«
    »Glauben Sie?«
    »Ja.«
    »Sie kennen mich nicht mal.«
    »Man ist kompetent bis zum Beweis des Gegenteils, Stacy.«
    »Okay.« Noch ein schwaches Lächeln. Sie bemühte sich so sehr um dieses Lächeln. Ich machte mir im Geiste eine Notiz: mögl. Depress., wie vonj. Manitow bemerkt.
    Sie hob ihre Hand. Das Blut an ihrem Finger war getrocknet, und sie rieb über die wunde Stelle. »Ich glaube nicht, dass ich es wirklich will. Über meine Mutter reden, meine ich. Was kann ich schon erzählen? Wenn ich daran denke, bin ich tagelang am Boden zerstört, und von diesen Tagen hatte ich schon genug. Und es war nicht gerade ein Schock - dass sie … was passiert ist. Ich meine, natürlich war es einer, als es wirklich passierte, aber sie war schon so lange krank.«
    Dasselbe hatte ihr Vater auch gesagt. Waren das ihre Worte oder seine?
    »Das«, sagte sie und lächelte wieder, »klingt allmählich wie einer dieser miesen Spielfilme der Woche. Ich will damit sagen, dass es so lange gedauert hat, was mit meiner Mutter geschah … Es war nicht wie bei einer anderen Freundin von mir, deren Mutter bei einem Skiunfall ums Leben

Weitere Kostenlose Bücher