Gnadentod
kippte das Bild in meine Richtung. »Kommt dir irgendetwas anderes in den Sinn, wenn du das hier siehst?«
»Nicht wirklich«, sagte ich. »Wut auf Mate. Ambivalenz Mate gegenüber. Du brauchst mich nicht, um dir das zu sagen.«
Sein Telefon klingelte. »Sturgis - O ja, hallo.« Seine Miene hellte sich auf. »Wirklich? Danke. Wann? … Klar, das wäre sogar mehr als günstig. Dr. D. ist bei mir - Ja, klar, großartig.«
»Apropos Karma«, sagte er, als er auflegte. »Das war Petra. Sieht so aus, als hätte sie irgendetwas über Donny herausgefunden. Sie ist auf dem Weg zu einem Prozess im Gericht von Santa Monica und kommt in zehn Minuten hier vorbei. Wir treffen sie draußen vor der Tür.«
Wir warteten am Bordstein. Milo ging auf und ab und rauchte einen Tiparillo, während ich wieder an die Familie Doss dachte. Wenige Augenblicke später fuhr Petra Connor in einem schwarzen Accord vor, parkte im Halteverbot und stieg mit ihren typischen gemessenen Bewegungen aus. Immer wenn ich sie sah, trug sie einen schwarzen Hosenanzug. Diesmal war es ein taillierter Anzug mit bläulichem Schimmer aus irgendeinem feinen Wollstoff, der ihrer langen, schlanken Figur schmeichelte und nicht so aussah, als könne sie ihn sich bei ihrem Gehalt leisten. Dazu trug sie halbhohe schwarze Schnürstiefel. Ihre schwarzen Haare waren zu der üblichen schlichten Kurzhaarfrisur geschnitten, und über ihrer Schulter hing eine schwarze Ledertasche von der Beschaffenheit einer windgepeitschten Motorradjacke. Da unter ihrem knapp geschnittenen Jackett keine Schusswaffe zu sehen war, lag sie wahrscheinlich in ihrer Tasche.
Das unvorteilhafte Septemberlicht tat ihrer elfenbeinernen Haut keinen Abbruch, sondern betonte noch ihren straffen Unterkiefer, ihr spitzes Kinn und ihre geschwungene Nase. Sie war auf eine angespannte Weise hübsch, aber etwas an ihr schien immer zu sagen: Abstand halten. Die Hingabe, mit der sie Billy Straights Genesung begleitete, verriet mir, dass hinter diesen forschenden braunen Augen durchaus Wärme steckte. Doch das war eine Schlussfolgerung meinerseits; sie war immer sehr sachlich, redete nie über sich selbst. Ich nahm an, sie hatte hohe Hürden überspringen müssen, um dort hinzukommen, wo sie jetzt war.
»Hallo«, sagte sie und ließ ein kühles Lächeln aufblitzen. Ich wusste genau, welche Frage von mir erwartet wurde. »Wie geht’s unserem Freund?«
»Er macht sich großartig, soweit ich sehe. Lauter Einsen, und der Test hat ergeben, dass er eine Klasse überspringen kann - erstaunlich, wenn man bedenkt, dass er sich das meiste, was er weiß, selbst beigebracht hat. Ein wahrer Intellektueller, genau wie Sie zu Anfang gesagt haben.«
»Was ist mit seinem Magengeschwür?«, fragte ich.
»Das schließt sich langsam. Er macht ein bisschen Theater, weil er seine Medizin nicht nehmen will, aber ansonsten ist er sehr entgegenkommend. Er hat auch einige Freunde gewonnen. Endlich. Andere >kreative< Typen, um die Rektorin zu zitieren. Mrs. Adamsons große Sorge ist, dass er außer Studieren, Lesen und an seinem Computer Spielen kaum etwas anderes tun will.«
»Was sollte er ihrer Ansicht nach lieber tun wollen?«
»Ich bin nicht sicher, ob sie irgendwas Spezielles im Auge hat - sie scheint nur etwas nervös zu sein. Ob sie auch alles richtig macht. Ich glaube, sie hat das Gefühl, mir Bericht erstatten zu müssen. Sie ruft mich einmal pro Woche an.«
»Hey, Sie sind der lange Arm des Gesetzes«, sagte ich.
Ein kaum merkliches Lächeln glitt über ihre Züge. »Ich weiß, dass er ihr wirklich am Herzen liegt. Ich sage ihr immer, sie solle sich keine Sorgen machen, er wird’s schon schaffen.«
Sie blinzelte, auf Bestätigung erpicht.
»Ein guter Rat«, sagte ich.
Auf ihren Wangen erschienen rosige Flecken. »Alles in allem bekommt er eine Menge Aufmerksamkeit. Vielleicht zu viel, wenn man bedenkt, dass er im Grunde ein Einzelgänger ist. Sam taucht regelmäßig an jedem Freitag auf und nimmt ihn übers Wochenende mit nach Venice. Die ganze Woche über San Marino, und dann die Freak-Szene. Wenn das kein Kontrast ist.«
»Multikulturelle Erfahrung. Ich bin sicher, dass er damit fertig wird.«
»Ja - gut. Ich nehme an, ich darf Sie anrufen, falls sich irgendwelche Probleme ergeben sollten.«
»Jederzeit.«
»Danke.« Sie wandte sich Milo zu. »Tut mir Leid, ich weiß, dass Sie auf das hier warten.« Sie zog eine Aktenmappe aus der Ledertasche. »Hier sind die Informationen über Ihren Mr. Salcido. Es
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