Gnosis
Außenseiter guckten mürrisch. Obwohl Charlie ziemlich beliebt war, gab er den Außenseitern recht. So ein blödes Spiel konnte sich nur ein Rüpel ausgedacht haben.
«Dann brauchen wir zwei Anführer.»
Die Hälfte der Klasse hob die Hände und trat vor. Charlie hatte keine Lust. Und ganz bestimmt wollte er nicht seine Freunde nach einer Rangliste einstufen. Das Auswählen einer Mannschaft war fast schlimmer als das Spiel selbst – denn am Ende blieb immer einer übrig, den niemand wollte.
«Mal sehen …», sagte der Vertretungslehrer mit Blick auf sein Klemmbrett. «Wie wäre es mit Mr. McGee?»
«JA!» Benny McGee klatschte sich mit seinen Kumpels ab. Er trat vor und boxte dabei Timmy Brewster gezielt in die Magengrube.
Von allen Jungen, die der Vertretungslehrer hätte aussuchen können, war Benny der schlimmste. Auch ohne Dachschaden wäre er ein fieser Schläger. Da er ein Jahr älter war, hatte er auch noch den Vorteil, größer zu sein als alle anderen.
«Und dann nehmen wir …» Wieder sah der Vertretungslehrer sich die Namensliste an. «Mr. Hammond.»
Charlie schluckte und wünschte, Mr. Kuehl hätte ihn nicht aufgerufen. Ein paar von den anderen klopften Charlie auf die Schulter, als er nach vorn ging.
«Gebt euch die Hand und wählt eure Mannschaft.»
Big Benny streckte seine Hand aus. Charlie griff danach, doch Benny zog sie im letzten Moment zurück, was seine Freunde zum Lachen brachte. Dann packte er Charlies Finger und drückte sie so fest zusammen, dass es wehtat.
«Du hast keine Chance, Charlie!»
Unbeirrt legte der Vertretungslehrer seine Hand auf Bennys Schulter. «Sie wählen zuerst, Mr. McGee.»
«Jake», sagte Benny und zeigte auf den unangenehmsten Jungen der sechsten Klasse. Mehrere Kleinere traten eilig beiseite, um nichts abzubekommen, wenn Jake zu Benny vorging, aber Jake schaffte es trotzdem, «aus Versehen» Timmy Brewster anzurempeln, der anscheinend heute für alle der Prügelknabe war.
«Sie sind dran, Mr. Hammond.»
Charlie sah die Klasse an und biss sich auf die Unterlippe. Mehrere seiner Freunde starrten ihn an, halb grinsend, halb bettelnd. Er wusste, die kluge Wahl wäre Ian Polenski. Ian war ein sportliches Naturtalent, superschnell und superstark. Aber er wollte niemanden kränken. Außerdem war es nicht fair – Ian wurde fast immer zuerst gewählt. Er nickte Charlie kurz zu, als wollte er sagen: Wir wissen beide, dass du mich wählst, also mach schon.
Aber Charlie wollte Ian nicht wählen. Und auch keinen seiner Freunde. Nicht einmal jemanden aus Big Bennys Bande, um sie gegeneinander auszuspielen. Als Charlie endlich den Mund aufmachte, staunte er selbst darüber, wen er wählte.
«Timmy!»
Der dürre, rotnasige Junge blickte auf, verblüffter als alle anderen. «Ich?»
«Ihr Mannschaftskapitän ruft nach Ihnen, Mr. Brewster», sagte der Vertretungslehrer.
Fassungslos trat Timmy vor. «Danke, Charlie», flüsterte er und klopfte ihm auf die Schulter, als er sich hinter ihn stellte.
«Hast du sie nicht mehr alle?», fauchte Benny.
«Mr. McGee, haben Sie uns etwas mitzuteilen?», fragte Mr. Kuehl.
«Ich hab nur gesagt, dass ich doch eigentlich Timmy nehmen wollte.»
Alle lachten.
«Nun, dann werden Sie ihn beim nächsten Mal wohl als Ersten wählen müssen», sagte Mr. Kuehl. «Sie sind dran, Mr. McGee.»
«Ian.» Ian nickte und sah achselzuckend zu Charlie hinüber, als wollte er sich dafür entschuldigen, dass er ins andere Team gewählt wurde.
Charlies Erleichterung, nachdem er das erste Mannschaftsmitglied ausgewählt hatte, war verflogen, als er sich jetzt den zweiten Mitstreiter aussuchen musste. Wieder sah er seine Freunde an, da kam ihm bereits die nächste abwegige Idee …
«Alan.»
Alan zwinkerte vor Überraschung, dann joggte er die paar Meter nach vorne zu Charlie, dass sein fetter Wanst nur so schwabbelte.
«DUM, DUM, DUM, DUM!», machte Benny bei jedem seiner Schritte. Benny war selbst dick, aber er merkte gar nicht, wie absurd es war, dass er sich über Alans Figur lustig machte. «Was wollt ihr spielen? Die Rache der Eierköpfe?»
«Im Film haben die Eierköpfe gewonnen, du Blödmann», sagte Charlie.
«Halt’s Maul!»
Und so ging es weiter. Benny wählte die Größten und Schnellsten, während sich Charlie an die Schwachen und Gebeutelten hielt. Er wusste, dass sie verlieren würden, dass man ihnen eine Abreibung verpassen würde, aber er konnte einfach nicht anders. Es machte Spaß, Jungs zu wählen, die normalerweise
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