Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
Vom Netzwerk:
nachzudenken.
    «Außerdem war Locke von Folgendem überzeugt: Wenn ein Staat den Gesellschaftsvertrag mit seinen Bürgern bricht, indem er auf eine Art und Weise regiert, die der Mehrheit nicht gefällt, dann haben die Bürger das Recht, wenn nicht sogar die Pflicht, zu revoltieren. Fällt Ihnen ein großer Moment der amerikanischen Geschichte ein, in dem sich diese Idee wiederfindet?»
    «Die Amerikanische R-r-revolution», sagte Elijah.
    «Exakt. Kein schlechtes gesellschaftliches Erbe für einen Mann, der nichts glaubte, was er nicht selbst erfahren hatte.»
    «Also hat Locke niemandem vertraut?», fragte Winter.
    «Locke glaubte nicht einmal, dass er sich selbst trauen konnte.» Zinser wartete, bis sich diese Worte in den Köpfen der Kinder gesetzt hatten. «Zwar schrieb Locke, Wissen ließe sich im Grunde nur über die fünf Sinne aneignen, doch er behauptete, nicht einmal denen könne man gänzlich trauen.»
    «Warum denn nicht?», fragte Elijah und beugte sich vor.
    «Weil alle Sinne relativ sind. Ich will euch ein Beispiel geben.» Zinser nahm ihre Brille ab. «Ich möchte, dass ihr mir verschiedene Attribute des Gegenstands zuruft, den ich hier in meiner Hand halte.»
    Die Kinder riefen Zinser Wörter zu, die sie in zwei Spalten an die Tafel schrieb. Schließlich trat sie einen Schritt von der Tafel weg.
     
    PRIMÄRE QUALITÄTEN
    1. Gestell mit zwei Gläsern
    2. Steg
    3. Bügel
     
    SEKUNDÄRE QUALITÄTEN
    1. Schwarz
    2. Dünn
    3. Gebogen
    4. Silbern
    5. Leicht
    6. Geruchlos
    7. Mit Scharnier
    8. Aus Plastik
    9. Glatt
     
    «Wie ihr seht, habe ich die Attribute meiner Brille in die beiden Kategorien eingeteilt, in denen Locke sie beschrieben hätte. Bei der ersten spricht man von primären Qualitäten, die Größe und Form bestimmen. Sie beziehen sich auf die Essenz dessen, was meine Brille ist. Sie definieren das Objekt. Besäße eine Brille diese primären Qualitäten nicht, wäre sie etwas anderes – ein Monokel, eine Lupe, ein Fernglas – alles, nur keine Brille.
    Locke klassifizierte alle anderen Charakteristika – Farbe, Geschmack, Temperatur, Oberfläche und Klang – als sekundäre Qualitäten. Diese Attribute sind nicht nötig, um ein Objekt zu identifizieren. Sie alle sind im Verhältnis zum Betrachter nur relativ.»
    «Was meinen Sie mit relativ?», fragte Jill. «Farbe ist Farbe. Geschmack ist Geschmack. Da ändert sich doch nichts.»
    «Doch», erwiderte Zinser. «Hast du schon mal ein Glas Orangensaft getrunken, nachdem du vorher einen Pancake mit Ahornsirup gegessen hattest? Es schmeckt sauer. Aber trink aus demselben Glas, wenn du vorher in eine Zitrone gebissen hast, und es schmeckt süß. Das Gleiche gilt für Farben. Trag ein cremefarbenes Hemd unter einer schwarzen Jacke, und es sieht hell aus. Trag dasselbe Hemd unter einem weißen Blazer, und es wirkt schmutzig.
    Man spricht vom ‹Schleier der Wahrnehmung› – wir alle betrachten die Welt durch unsere eigene, eingeschränkte Wahrnehmung und nicht so, wie sie tatsächlich ist. Daher kann man nur sich selbst wirklich kennen.»
    «Locke glaubte also nur an sich selbst?», fragte Charlie. «Sonst nichts?»
    «Er glaubte an sich selbst, aber er glaubte außerdem an zweierlei – Gott und die Außenwelt.»
    Bei der Erwähnung Gottes strahlte Jill. Jetzt zog Elijah ein sorgenvolles Gesicht.
    «Wie k-k-konnte er an Gott glauben, wenn er nur auf seine Erfahrung vertraute?»
    «Weil er davon überzeugt war, dass man aufgrund eigener Erfahrungen richtige Schlussfolgerungen ziehen kann. Auf diese Weise hat er für sich selbst den Beweis erbracht, dass Gott existiert.»
    «Wie?», fragte Jill fasziniert.
    «Er ging von dem intuitiven Glauben an die Existenz des Ichs aus. Dann folgerte er aus dieser Vorstellung vom Ich, das er als das ‹wirklich Seiende› bezeichnete, dass alles von irgendwoher kommen muss.»
    Zinser sah in ihre Notizen und las laut vor.
    «Weiß man also, dass ein wirkliches Seiendes besteht und dass es von dem Nicht-Sein nicht hervorgebracht werden kann, so folgt klar, dass von Ewigkeit her etwas bestanden hat; denn ohnedem hätte es einen Anfang, und was einen Anfang hat, müsste von etwas anderem hervorgebracht worden sein … so führt unsere Vernunft zu der Erkenntnis der sicheren und offenbaren Wahrheit, dass es ein ewiges, höchst mächtiges und wissendes Wesen gibt.
    Mit anderen Worten: Wir alle müssen aus etwas anderem heraus entstanden sein, und dieses Etwas muss Gott sein.»
    «Das klingt nicht b-b-besonders

Weitere Kostenlose Bücher