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Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
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betrachtet, ist es unmöglich, Kontrolle über sich selbst zu haben, weil man Kontrolle oder auch ‹Macht› unmöglich definieren kann.»
    «Das stimmt doch nicht», sagte Charlie.
    «Nein?», sagte Zinser und wandte sich dem hübschen Jungen zu. «Dann erklär es mir.»
    «Macht ist …» Charlie sah in sein Heft, dann wieder zu Zinser. «Macht ist eine Idee.»
    «Doch woher stammt diese Idee? Erinnerung oder Vorstellung?»
    «Erinnerung. Meine Erinnerung daran, wie ich meinen Körper bewegen kann», sagte Charlie und wackelte zur Veranschaulichung mit den Fingern.
    «Aber die Macht, mit der dein Wille deinen Körper bewegt, ist unbegreiflich.»
    «Ich verstehe nicht, was Sie meinen.»
    «Die Verbindung zwischen Geist und Körper ist und bleibt ein Geheimnis. Überlegt mal – wenn ich euch irgendeinen anderen Fall beschreiben würde, in dem ein unsichtbares Phantom Gegenstände bewegen könnte, würdet ihr mich für verrückt erklären. Die Wirkung des Geistes auf den Körper ist nicht mehr oder weniger phantastisch. Genauso gut könnte ich behaupten, ich sei in der Lage, mit meinem Geist Berge zu versetzen.»
    «Aber der Geist ist mit dem Körper doch verbunden.»
    «Das Gehirn ist mit dem Körper verbunden. Aber der Geist? Das Bewusstsein? Die Wissenschaft weiß weder, was Bewusstsein ist, noch, wo es sich befindet. Wie also kann es mit deinem Körper ‹verbunden› sein? Fühlst du die Verbindung?»
    «Na ja … nein.»
    «Woher willst du dann wissen, dass das Bewusstsein existiert?»
    «Weil ich die Kontrolle über meinen Körper habe!», rief Charlie.
    «Nein, hast du nicht.»
    «Wie meinen Sie das?»
    «Zum Beispiel hast du keine Kontrolle über deine Organe. Dein Magen, deine Nieren, deine Leber – diese Körperteile arbeiten völlig unabhängig von deinem Bewusstsein.»
    «Nur weil ich keinen Einfluss auf meine Nieren nehmen kann, heißt das doch nicht, dass ich keine Kontrolle über den Rest meines Körpers habe.»
    «Aber du bist dir nicht bewusst, wo diese Kontrolle anfängt und wo sie aufhört. Du kannst die Macht nicht spüren. Du kennst die Grenzen deines Willens nur aus Erfahrung. Und auch wenn dich die Erfahrung gelehrt hat, dass sich dein Finger bewegt, wenn du ihn bewegen willst, erklärt dir die Erfahrung doch nicht, wie Geist und Finger miteinander verbunden sind.»
    «Aber wenn ich meinen Finger bewegen will, wird er von meinem Geist bewegt.»
    «Nein.»
    «Von wem dann?», fragte Charlie und hob ratlos die Hände.
    «Muskeln. Von Nerven gesteuert. Ausgelöst durch elektrische Impulse. Angetrieben von Neuronen. Der Geist ist sich keineswegs bewusst, was geschieht, wenn man seinen Finger bewegen will. Der Geist möchte den Finger bewegen, tatsächlich aber feuert er ein Neuron ab. Ein Vorgang, den man weder fühlen noch begreifen kann und der sich vollkommen von dem unterscheidet, was man eigentlich will.
    Der gesendete Nervenimpuls löst eine ganze Reihe unbeabsichtigter Ereignisse aus, bis sich der Finger bewegt. Ihr seht also, ihr kontrolliert die Vorgänge nicht, weil ihr eine solche Macht gar nicht besitzt. Ihr löst lediglich elektronische Impulse aus, die – auch wenn sie am Ende zur Bewegung führen – auf eine Weise operieren, die euer Vorstellungsvermögen überschreitet.
    Also frage ich noch einmal: Weiß man, wie die Kontrolle über den eigenen Körper funktioniert?»
    Charlie gab auf. «Wohl nicht.»
    «Genau. Bewegung spürt man, aber die Kraft dahinter ist für den bewussten Geist nicht zu begreifen.»
    Eine Weile sagte keiner der Schüler etwas. Abrupt setzte sich Elijah auf.
    «Aber wenn ich eine Idee habe, dann kontrolliere ich meinen Geist.»
    «Ach, wirklich? Wie würdest du diese Kontrolle beschreiben?»
    «Wenn mir etwas einfällt, fühlt es sich … gut an.»
    «Du hast eben beschrieben, wie es ist, nachdem eine Idee entstanden ist. Aber wie fühlt es sich an, während du dabei bist, dir etwas einfallen zu lassen?»
    «Anstrengend. Frustrierend.»
    «Nein. Das ist, wenn man unfähig ist, eine Idee hervorzubringen. Beschreib, wie es ist während des eigentlichen Vorgangs.»
    Elijah biss sich auf die Lippe. Schließlich schüttelte er den Kopf. «Das kann ich nicht.»
    «Eben», sagte Zinser. «Die Macht des Geistes über den Körper ist so begrenzt wie die Macht, die der Geist über sich selbst besitzt. Du spürst diese Grenzen nicht, du erfährst sie. Beispielsweise ist der Einfluss, den sie auf unsere Wünsche haben, erheblich schwächer als unser Einfluss auf

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