Gnosis
Schleusen und ließ ihre Empfindungen in Samanthas Bewusstsein eindringen – um das Hundertfache verstärkt. Dann um das Tausendfache. Samantha wollte schreien, aber es kam kein Ton heraus. Nichts, nicht einmal ein Atemhauch. Ihr Mund stand nur offen, während unerträgliche Qualen sie fortrissen.
Und dann, genauso schnell, wie der Schmerz gekommen war, stellte Jill ihn wieder ein. Samanthas Mund öffnete sich noch etwas weiter, und sie stieß einen langen, schrillen Schrei aus, erleichtert, endlich ihren Schmerz herauszuschreien.
«Wo ist er?»
Samantha fing an zu schluchzen. Zwischen ihren Schreien stöhnte sie laut auf.
«Ich kann die ganze Nacht so weitermachen», sagte Jill und bombardierte Samanthas Bewusstsein mit unerträglichem Schwarz und Grün. Und als Samantha eben im allertiefsten Schmerz zu versinken drohte, ließ Jill nach. Samanthas Schluchzen wurde lauter.
«Und nochmal!» Kreischend gelbe Qualen.
«Und nochmal!» Brennend roter Schmerz.
«Und nochmal!» Dunkelgrüne Verzweiflung.
Diesmal ließ Jill die Qual volle zehn Sekunden auf Samantha wirken. Samanthas Kopf sank herab, ihr Gesicht war schweißnass. Jill nahm ihr Kinn und hob es an.
«Möchtest du, dass es aufhört?»
Wieder drängte sich Jill in Samanthas Innerstes. Samantha klappte den Mund auf und zu, als wollte sie etwas sagen, doch ihr fehlte die Kraft.
Jill gab etwas nach.
«Jaaaaaaaa …», schluchzte Samantha. «Ich sag es dir … aber bitte hör auf … bitte …!»
Jill ließ von ihr ab, und Samantha sank in sich zusammen. Jill fing ihren Kopf auf und hielt ihn sanft zwischen den Händen. Sie spürte Samanthas Puls unter den Fingerspitzen, und die verschwitzte Haut war heiß.
«Schschscht» , machte Jill. «Es tut jetzt nicht mehr weh. Sag mir einfach, was ich wissen will.» Sie wartete. Sie konnte Samanthas tiefe Erschöpfung, ihre Panik spüren. Und schließlich, dass sie sich in ihr Schicksal fügte. «Wo ist er?»
Samantha zitterte am ganzen Leib, als sie die Antwort schluchzte. «In … in der untersten Schublade.»
Jill stand auf, ging zum Schreibtisch und zog die Schublade auf. Sie war erheblich schwerer als erwartet, und Jill sah sofort, warum. Darin war ein Bildschirm mit kleiner Tastatur.
«Gib mein Passwort ein: 3-9-2-1.»
Jill tippte die vier Ziffern, und sofort ging der Bildschirm an. Sie durchsuchte mehrere Menüs, bis sie fand, was sie suchte.
«Tu das nicht!», flehte Samantha. «Wenn ich sagen soll, dass es mir leidtut, dann sage ich es. Es tut mir leid! Es tut mir schrecklich leid! Du weißt, dass ich die Wahrheit sage, also gibt es doch gar keinen Grund …»
«Du täuschst dich», sagte Jill und wischte sich mit der Hand über die Nase. «Es gibt einen Grund. Ich bin eine Ausgeburt der Hölle. Wie alle Empathiker. Wir sind eine Sünde gegen Gott. Ich habe mich schon immer gefragt, warum ich …» Jill zögerte, ihre Stimme bebte. «Bis ich es schließlich rausgefunden habe.»
Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte Jill den Knopf. Eine Digitaluhr erschien und begann rückwärts zu zählen. Einen Moment lang starrte sie die grünen Ziffern an, wie hypnotisiert.
Jill stellte sich vor, wie es wäre, dazusitzen und zuzusehen, wie die Ziffern bis zum Ende zählten. Ob man es bis 0:00 schaffte oder ob man vorher starb? Samantha würde es erfahren. Eilig ging Jill durch die Menüs zurück und klickte noch einen letzten Befehl an.
Als der Alarm aufheulte, lächelte sie. Dann beugte sie sich vor und küsste Samantha auf die Wange. Sie staunte, dass sie diese Frau einmal geliebt hatte.
«Leb wohl, Samantha.»
Einmal noch öffnete Jill die Schleusen und ließ dumpfen Hass und Reue ungehindert auf Samantha einwirken. Als Samantha anfing zu schreien, öffnete Jill die Tür und ging.
Sie sah sich nicht mehr um.
KAPITEL 50
Als sie losrannten, drangen von irgendwoher glühender Zorn und unaussprechliches Entsetzen auf Laszlo ein. Er wusste, dass dies Jills Zorn war, doch er hatte keine Ahnung, wer so erschrocken sein mochte.
«Wir müssen uns beeilen», sagte Laszlo und wischte sich den Schweiß von der Stirn. «Irgendwas ist faul.»
Dietrich nickte und lief schneller. Sie kamen um eine Ecke und trafen auf zwei weitere Soldaten. Keegan und Reynolds gaben den beiden einen Kinnhaken mit ihrer .45er. Tom nahm ihnen die Halsketten ab und befreite ihre furchtsamen Geister. Laszlo war so schwach, dass die einzige Empfindung, die er übertragen konnte, seine eigene physische Erschöpfung war. Die
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