Gnosis
die buddhistische Meditation erreichen – die perfekte Balance zwischen deinem persönlichen Ch’i und dem Ch’i im Universum.»
«Deshalb brennst du also Weihrauch ab, Ba Ba?»
«Oh, nein.» Ihr Vater lächelte zerknirscht. «Ich mag es nur gerne riechen.»
Im Hotelzimmer lief eine einsame Träne über Winters Wange. Sie fragte sich, was ihr Vater wohl zu Michael und den anderen Stalkern gesagt hätte. In solchen Momenten wünschte sie unwillkürlich, nicht ihr geliebter Vater, sondern ihre Mutter wäre damals von einem Auto überfahren worden. Schon im selben Moment schämte sich Winter dafür. Wie konnte sie nur so denken?
Plötzlich scharrte etwas über den Teppich. Nackte Angst packte sie. Sie war nicht allein.
Es ist Michael. Er ist wieder da.
Dann hörte sie jemanden atmen. Wie ferner Donner in ihrem Kopf. Wollte er ihr beim Schlafen zusehen? Wollte er etwas stehlen? Was war gefährlicher? So zu tun, als würde sie schlafen, oder zu zeigen, dass sie wach war?
Ihr Herz raste, das Blut pochte in ihren Adern. Sie spannte die Muskeln an, machte sich bereit, aus dem Bett zu springen.
Plötzlich hielt ihr eine Hand den Mund zu. Bevor sie schreien konnte, spürte sie einen kleinen Stich am Hals. Sie versuchte, sich zu befreien, aber der Angreifer war zu stark. Sie wollte nach ihm greifen, doch alle Kraft wich aus ihren Armen, und sie sanken wie zerbrochene Zweige neben ihr aufs Laken.
Der Schatten richtete sich auf. Dann legte er die Spritze weg und nahm die Hand von ihrem Mund. Winter versuchte zu schreien, brachte aber nur ein leises Zischen hervor. Es fühlte sich an, als hockte ein fetter Kater auf ihrer Brust. Sie wusste, dass sie Angst haben sollte, Panik sogar, doch selbst ihre Gefühle waren wie gelähmt.
Sie spürte nicht, dass ihr Herz schneller schlug, dass ihr der kalte Schweiß ausbrach. Sie hatte nur eine leise Ahnung von Angst. Diese schwebte durch ihr Denken, seltsam distanziert, ohne das dazugehörige körperliche Empfinden.
Sie wollte schreien, schaffte aber nur ein schwaches Hauchen. Er beugte sich vor. Das spitze Metall in seiner Hand blitzte auf in dem Licht, das vom Fenster hereinkam. Mit der anderen griff er nach ihrem Hals. Das weiche Leder des Handschuhs fühlte sich kühl an. Er drückte ihr Kinn hoch und kam ganz nah heran. Sie hätte gern geweint, doch es wollten keine Tränen kommen.
Innerlich schrie sie wie am Spieß, denn sie wusste, dass es das Ende war. Sie würde sterben, hier in diesem fremden Hotel. Und sie wusste nicht mal, wer ihr Mörder war. Ein irrer Fan? Oder einer ihrer Ex-Liebhaber, der Rache wollte? Der Mann, der sich dort über sie beugte, kam ihr nicht bekannt vor, aber hatte sie eigentlich je irgendwen gekannt, mit dem sie nicht im Bett gewesen war? Hatte sie …
Sie hörte ein Knacken, dann spürte sie, wie etwas über ihren Nacken gezogen wurde. Hilflos blickte sie auf und fragte sich, was er getan hatte – und was er als Nächstes tun würde. Der Schattenmann hob ihren Kopf vom Kissen.
Ein leises Surren war zu hören, wie von einem Reißverschluss. Sie sah etwas Silbriges in seiner Hand, dann verschwand es in seiner Tasche. Wieder beugte er sich vor und nahm eine Zange vom Nachttisch. Einen grauenhaften Augenblick lang stellte sich Winter vor, dass er ihr damit die Zähne ziehen wollte.
Dann war die Zange weg, und auch der Mann. Ihn nicht zu sehen war noch erschreckender, als ihn direkt vor sich zu haben. Sie hörte leise Schritte, und es klickte zweimal, als die Tür aufging und wieder zu. Sie lauschte angestrengt, doch hörte sie nur ihren eigenen, rasselnden Atem.
Sie war wieder allein.
Winter starrte an die Zimmerdecke und wartete, dass die Wirkung der Droge nachließ, die ihr der Eindringling gespritzt hatte. Nach einer halben Ewigkeit fingen ihre Arme an zu kribbeln. Sie holte tief Luft und setzte sich langsam auf. Das ganze Zimmer drehte sich, als wäre sie eben von einer Achterbahn gesprungen.
Sie stellte ihre nackten Füße auf den Boden und stand auf wackligen Beinen. Da erst merkte sie, dass irgendetwas anders war.
Instinktiv griff sie nach ihrer Kette – doch sie war nicht mehr da. Winter taumelte ins Badezimmer, um sich zu vergewissern, auch wenn sie längst sicher war. Sie versuchte, sich zu erinnern, was geschehen war, als der Mann sich über sie gebeugt hatte – die Zange kniff die Kette durch, die Kette glitt über ihren Hals …
Dumpfe Panik wuchs in ihr, als sie ihren nackten Hals betrachtete. Sie konnte sich nicht
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