Go vegan!: Warum wir ohne tierische Produkte glücklicher und besser leben (German Edition)
und über das Internet in Foren Mitglied in veganen Gruppen sind, sich dort Wissen aneignen und nach Antworten auf Fragen suchen, die in ihrer unmittelbaren Umgebung niemand beantworten kann, haben zu diesem Thema mit Sicherheit einen viel intensiveren Bezug als nicht onlineorientierte Menschen. In der Soziologie spricht man hier von einer nachhaltigen Identitätsbildung.
Das trägt aus meiner Sicht auch dazu bei, dass der Veganismus keine Zeitgeisterscheinung sein wird, sondern die Vorwegnahme einer zukünftig weit verbreiteten Lebensweise. Man kann auch sagen, dass sich die vegane Szene mithilfe des Internets, zu dem Jugendliche einen weitaus natürlicheren Zugang haben, von der Erwachsenenwelt entkoppelt im virtuellen Raum entwickelt, also ohne störende oder korrigierende Einflüsse der Erwachsenenkultur, ohne Tradition, ohne den Rückgriff auf schon Vorhandenes und auch völlig unabhängig von den klassischen Massenmedien.
Natürlich ist das eine Entwicklung, die nicht nur den Veganismus betrifft. Ganz viele Bewegungen funktionieren so. Die Occupy-Bewegung zum Beispiel folgt ganz ähnlichen Prinzipien, aber auch radikal-islamische Bewegungen oder die rechte Szene, die sich ebenfalls virtuell vernetzt, das Web 2.0 als eine Möglichkeit ihrer Mobilisierung nutzt und ihre Informationen online verbreitet und in unabhängigen Gruppen dezentral agitiert.
Abgesehen von seiner Verbreitung ist der Veganismus aber noch aus einem anderen Grund ein klassisch postmodernes Phänomen. In dem Moment, in dem man die Idee der Solidarität, ein ganz klassischer Begriff der Arbeiterbewegung, nicht mehr nur auf den Menschen, sondern auch auf andere Lebewesen – also die Tiere – bezieht, verändert sich unsere Sicht auf die Welt entscheidend. Wir bewegen uns fort von einem anthropozentrischen Weltbild, also einem Weltbild, das in seiner Blickrichtung in erster Linie auf den Menschen ausgerichtet ist, hin zu einem Weltbild, das alle Lebewesen gleichberechtigt einschließt. Nicht mehr nur der Mensch kann Leid empfinden und soll davor bewahrt werden, sondern auch die Tiere. Damit wird der alte Begriff der Solidarität neu gefüllt, in seiner Bedeutung erweitert und in seiner Wirksamkeit erhöht. Das ist ein großer Wandel!
In dieser Entwicklung kann man durchaus eine Parallele zur Aufklärung erkennen. Vor der Aufklärung war eine theozentrische Weltsicht vorherrschend. Sprich: Gott und der Klerus standen im Mittelpunkt. Bücher gab es nur handschriftlich, lesen konnte nur der Klerus und das Volk musste zuhören und gehorchen. Die Aufklärung hat einen Schlussstrich unter diese Epoche gezogen. Es setzte sich die Überzeugung durch, dass der Mensch Gott und die Religion nicht braucht, weil er selbst in der Lage ist zu denken. So entwickelte sich neben vielen anderen Wissenschaften und Lebensbereichen der Buchdruck und Menschen lernten lesen. Mit dem eigenständigen Lesen wurde der Mensch zu einem selbständig denkenden Menschen. All das fasste der Philosoph René Descartes in dem viel zitierten Satz »Cogito, ergo sum«, zu Deutsch »Ich denke, also bin ich«, zusammen. In der Moderne, die aus der Aufklärung hervorging, stand dann der Mensch im Zentrum unseres Weltbildes.
Und nun stellt der Veganismus diesen Grundsatz der Moderne in Frage und kann somit als postmodern bezeichnet werden. Natürlich ist der Veganismus nicht das einzige Konzept, das moderne Überzeugungen zu Fall bringt. Das Gleiche gilt zum Beispiel für die Genderforschung, die unter anderem das Konzept der Zweigeschlechtlichkeit, also die strikte Einteilung in männlich und weiblich, hinterfragt und auch transsexuelle Lebensweisen miteinbezieht. Die Zweigeschlechtlichkeit wird in diesem Zusammenhang als reines Konstrukt bezeichnet, mit dem auch heute noch Herrschaftsverhältnisse gefestigt werden können, die es zu dekonstruieren gilt.
Ich bin der Überzeugung, dass der Veganismus seinen Stellenwert in der Gesellschaft in Zukunft noch weiter festigen wird. Eines Tages wird es uncool sein, Fleisch zu essen. Ebenso wie es heute immer uncooler wird zu rauchen. Natürlich rauchen immer noch eine Menge Menschen, aber heute weiß jeder, dass es ungesund ist. Die Parallelen sind frappierend. Auch hinter unserem Fleischkonsum steckt eine starke Industrie, die Lebensmittelindustrie, mit der entsprechenden Lobby, die eine Marktmacht hat, wie sie die Tabakindustrie lange besaß. Ebenso wie beim Rauchen, von dem ja in den 1970er Jahren auch nur wenige wahrhaben wollten,
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