Go vegan!: Warum wir ohne tierische Produkte glücklicher und besser leben (German Edition)
prägen, auseinandergesetzt. In der Szene wurde damals diskutiert, ob es eine Hierarchisierung von Unterdrückung gibt, ob also eine bestimmte Art von Unterdrückung womöglich gravierender und damit wichtiger ist als die andere.
Dass Unterdrückung aufgrund eines Rassenkonzeptes nicht tolerierbar ist, darauf konnten sich damals in der Szene alle einigen. Auch die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Klassen galt es zu bekämpfen. Viel schwieriger war es aber zum Beispiel, die Unterdrückungsverhältnisse, die zwischen den Geschlechtern bestehen, anzuprangern. Denn das bedeutete, dass wir uns mit den eigenen erlernten Rollenbildern auseinandersetzen mussten. Das fiel vielen Menschen in der linken Szene zu Beginn nicht leicht.
In der Antifa-Szene der 1990er und 2000er Jahre war dann die Ausrichtung klar: Es gibt keine »Hauptunterdrückung« – jegliches Unterdrückungsverhältnis ist zu unterlassen, also auch die Unterdrückung der Tiere durch den Menschen. Trotzdem gab es die ganz praktische Frage, ob man in den Voküs vegan kochen sollte oder nicht. Der Begriff »Vokü« ist die Abkürzung von »Volxküche«. Gemeint ist damit eine Art Gruppenkochen an selbstverwalteten Orten oder in besetzten Häusern, meist in der linksalternativen Szene. Alle kochen gemeinsam und geben das Essen zum Selbstkostenpreis oder sogar noch darunter aus. Dort gab es die konkrete Auseinandersetzung zwischen der Currywurstfraktion und den Veganern. Es wurde zum Teil heftig debattiert. Dieser Konflikt ist heute zum größten Teil beigelegt. Die allermeisten Voküs bieten heute vegetarische, meist sogar vegane Speisen an.
Im Laufe der Zeit hat sich so auch innerhalb der linken Szene die Sicht auf die Gesamtheit der Unterdrückungsverhältnisse erweitert. In den Diskussionen geht es nicht mehr nur um ungleiche Machtverhältnisse aufgrund des Geschlechts, der Klasse, des Alters oder der Behinderung, sondern auch aufgrund der Spezies, nämlich die Unterdrückung der Spezies Tier durch die Spezies Mensch. Bis vor wenigen Jahren war die vegane Szene aber immer sehr klein und führte ein marginalisiertes, subkulturelles Dasein am Rande der Gesellschaft. Erst jetzt, da sich in erster Linie jugendliche, gesellschaftspolitisch motivierte Veganer über das Internet, soziale Netzwerke und andere Anwendungen informieren, vernetzen und organisieren, hat das Thema einen immensen Schub erfahren. Attila Hildmann nutzt das Challenge-Prinzip ganz gezielt, indem er die Leser seines Buches auffordert, 90 Tage lang in einem Videotagebuch zu dokumentieren, wie es ihnen mit der Ernährungsumstellung geht, und diese Clips bei YouTube hochzuladen.
Was bis vor wenigen Jahren undenkbar erschien, ist nun geschehen. Der Veganismus ist im Mainstream angelangt und zu einem gesellschaftsfähigen Konzept geworden. Es ist heute nicht mehr verpönt, darüber nachzudenken. So kann die Grünen-Politikerin Renate Künast Anfang August 2013 fordern, dass man mindestens einen »Veggietag« in den Kantinen von Unternehmen und Mensen aller Hochschulen anbieten sollte, also ausschließlich veganes oder vegetarisches Essen an einem Tag der Woche. Auch wenn ihr dieser Vorschlag im Wahlkampf vonseiten der FDP viel Kritik einbrachte, zeigt er doch: Er ist nicht mehr so abwegig, dass man ihn nicht anbringen könnte. In vielen Jugendherbergen Deutschlands gibt es so einen vegetarischen Tag schon längst.
Man kann sagen, dass der Veganismus in seiner onlinebasierten Form eine Jugendbewegung ist, ohne die das Thema heute in der Gesellschaft nicht denselben Stellenwert besäße. Der Soziologe Klaus Hurrelmann hat recht, wenn er sagt, dass Jugendliche als Seismografen der Gesellschaft bezeichnet werden können. Durch ihre Beschäftigung mit dem Veganismus weisen sie auf dieses Thema hin, das in einigen Jahren mit Sicherheit noch viel größer sein wird als heute.
Noch einen Vorteil bietet das Internet. Jeder kann unabhängig von seinem Wohnort der Szene angehören. Die physische Teilnahme an Treffen wie früher in der Anti-AKW- oder Friedensbewegung ist dazu nicht mehr nötig. So entstand eine Vernetzung und Akkumulation und Verbreitung von Wissen, die vorher so nicht möglich war und die auch die Struktur der sozialen Bewegung verändert hat. Die onlinebasierte Form einer Jugendbewegung ist auch deshalb so spannend, weil in ihr eine wesentlich größere, ja stärkere Nachhaltigkeit entsteht als in anderen Jugendbewegungen. Vegan lebende Jugendliche, die auf dem Land aufwachsen
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