Go West - Reise duch die USA
vergleichen war. Es klang härter, reibend, kratzend und aneinanderschlagend. Unwillkürlich fuhren unsere Blicke immer wieder Richtung Tür und der Fenster, obwohl wir ja nicht rausschauen konnten.
Gegen Mitternacht war aus dem Rauschen ein Pfeifen und Wehen geworden. Wir redeten ununterbrochen, weil wir uns ablenken wollten. Ich hatte Angst, und nur, weil wir zu dritt waren, ließ ich sie nicht zu. Die Atmosphäre war mittlerweile nicht mehr nur unheimlich, sie war bedrohlich.
Gegen drei Uhr erreichte der Sturm seinen Höhepunkt. Ein Brausen erfüllte das Häuschen, und alle paar Sekunden zuckten wir zusammen, weil draußen etwas mit lautem Scheppern umfiel oder sich irgendein Teil selbstständig machte und gegen das Haus klatschte. Am schlimmsten war es, wenn irgendetwas die Holzplatten traf. Das dumpfe Klong! ging mir durch Mark und Bein. Von der permanenten Anspannung begann ich zu zittern und zwang mich mit Gewalt, die Muskeln zu entspannen. Bis ein Geräusch durchs Zimmer hallte, das so laut war, dass mir das Herz in die Hose rutschte.
»Das Telefon!«, rief Liz schreckensbleich. »Mann, hab ich mich erschreckt!«
Ich hob ab, und erleichtert hörte ich Carls Stimme: »Na, alles klar bei euch?«
»Ja, wir leben noch.«
»Wir haben Glück, Gabrielle ist kein Hurrikan geworden, sondern ein tropischer Sturm geblieben. Er hat uns nur gestreift und zieht nach Norden.«
» Kein Hurrikan …? Das war kein Hurrikan?«, fragte ich verblüfft. »Was zum Teufel ist dann ein Hurrikan?«
» CNN sagt, er wird den Norden Carolinas erwischen, aber es wird glimpflich abgehen.« Ich wiederholte für die anderen, was Carl mir erzählte. »Wir sollen auf unseren lokalen Sender schalten, deren Wetterbericht ist genauer. Carl sagt, wir brauchen uns keine Sorgen machen, morgen früh ist es vorbei.«
»Kein Hurrikan?«, wiederholte Liz ungläubig. »Hier fliegen Steine ans Fenster, und der Wind faucht wie ein Drache!«
Carl hatte sie gehört und lachte. »Das sind Samen von den Bäumen. Ihr könnt schlafen gehen. Wir sind noch mal davongekommen.«
»Puuuh!«, machte ich. »Gott sei Dank. Danke, Carl!«
Ich hätte wetten können, dass Carl jetzt seelenruhig ins Bett ging und einschlafen würde. Aber für uns war ans Schlafen nicht zu denken. Die Geräuschkulisse klang nach wie vor wie aus einem Gruselfilm. Und zum Wind gesellte sich urplötzlich Regen. Nein, kein Regen. Es war mehr ein See, der von oben herabfiel. Das Wasser klatschte so aufs Dach, dass ich nervös nach oben schaute, um zu prüfen, ob es halten würde.
Um fünf kochten wir uns Kaffee und machten eine Packung Kekse auf. Um sieben Uhr flaute der Wind deutlich ab, und dann dauerte es nicht lange, und durch die Ritzen der Platten schickte die Sonne schmale Lichtbalken ins Zimmer.
»Mädels, ich geh schlafen«, murmelte Liz, ließ sich aufs Bett fallen und war Sekunden später eingeschlafen. Gina machte es ihr nach, und auch ich entspannte mich endlich.
Es war ein wunderbares Gefühl, die Sicherheit wiederzuhaben und die Gefahr vorüber zu wissen. Ich schlief wie ein Stein und wachte erst wieder auf, als Carl an unsere Tür klopfte, um uns zu einem gemeinsamen Frühstück zu holen.
Nach einer fröhlichen Mahlzeit auf der Veranda halfen wir Carl, die Platten wieder abzunehmen. Dan freute sich, dass alles schon zur Abholung bereitstand, als er am Abend vorbeikam, um sie wieder mitzunehmen. Am Tag nach dem Sturm blieb St. Augustine noch menschenleer. Erst am Abend kehrten die meisten Bewohner und auch Touristen zurück, und das Leben normalisierte sich. Wir genossen es, die Stadt fast für uns zu haben, bummelten durch die Straßen, tranken Cappuccino und aßen Eis in einem der wenigen Cafés, die wieder geöffnet hatten, und am Abend gingen wir in ein Steakhouse. Den darauffolgenden Tag verbrachten wir am Strand, doch an Baden war nicht zu denken, denn infolge des Sturms war die Unterströmung so stark, dass Warnflaggen ein Badeverbot auswiesen. Dafür besuchten wir noch den Fountain of Youth und nahmen einen gehörigen Schluck vom Wasser der ewigen Jugend. Mal sehen, ob’s wirkt. Wenn ich in zwanzig Jahren noch so aussehe wie heute, dann könnt ihr hinfahren und euch eine Flasche abfüllen.
Als wir uns nach vier Tagen verabschiedeten, waren wir traurig, aber auch gespannt auf die nächste Etappe. Eigentlich wollten wir durchfahren bis Miami, uns dort ein Motel suchen und mal richtig einen draufmachen, aber als wir goodbye sagen wollten, hatte Carl eine
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