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Go West - Reise duch die USA

Go West - Reise duch die USA

Titel: Go West - Reise duch die USA Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rau Sandy und Gina
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Inland.«
    Dieses Bild von den fliehenden Menschen vermittelte uns den ersten wirklichen Eindruck der drohenden Gefahr. Für einen Moment war ich unsicher, ob es richtig war, hierzubleiben, aber ich schüttelte den Gedanken ab.
    »Wir müssen also nur euch versorgen«, erklärte Carl. »Und dann habt ihr frei und das ganze Haus für euch.«
    Nach dem Essen trugen wir Vorräte an Wasser, Konserven, haltbaren Lebensmitteln und Petroleumlampen in unser Zimmer. Danach setzten wir uns mit einer Kanne Eistee auf die Veranda und fanden ein völlig verändertes St. Augustine vor. Auf der sonst so belebten Avenida Menendez flanierte kaum noch jemand, und der Verkehr war nur spärlich. Ich stand auf und trat ein paar Schritte auf die Straße hinaus. Was ich sah, erinnerte an eine Geisterstadt, wenn auch an eine schöne. So weit man schaute, waren die Häuser mit Holzplatten gesichert. Das verlieh den Gebäuden ein verlassenes Aussehen. Hier und da schraubte noch jemand herum, aber viele Menschen entdeckte ich nicht mehr. Es war etwa vier Uhr nachmittags, und wenn ein Auto vorbeifuhr, dann stadtauswärts.
    Die Stadt leerte sich. Es war ein bedrückendes Gefühl. Und es sollte sich noch verstärken. Der Himmel war nach wie vor klar und tiefblau. Die Farben, mit denen die bereits tiefer stehende Sonne die Stadt bedachte, waren warm, und nichts deutete auf ein Unwetter hin. Doch es war etwas anderes, das den Hurrikan ankündigte. Der Verkehrslärm und das Stimmengewirr der Passanten waren verebbt. Auch die Tiere verstummten nach und nach. Gegen sechs Uhr abends war kein Vogel mehr zu hören, ja nicht einmal mehr eine Grille.
    »Das ist unheimlich«, murmelte Liz.
    Die Beklemmung, die in mir aufstieg, kann ich heute schlecht beschreiben. Man fühlt sich unsicher und hilflos. Man weiß, es ist zu spät, um zu verschwinden. Gina und ich beschlossen, unsere Eltern anzurufen. Wir hatten vereinbart, dass wir das nur noch alle paar Tage machten, aber wenn sie von dem Hurrikan aus den Nachrichten erfuhren, würden sie sich große Sorgen machen. Besser, wir sagten ihnen vorher, dass wir gut aufgehoben waren. Nachdem wir das erledigt hatten und auch Liz zu Hause angerufen hatte, setzten wir uns gemeinsam mit Carl und Danah in die Küche, aßen Abendbrot und verfolgten die lokalen Nachrichten, die ununterbrochen den Weg des Hurrikans begleiteten.
    »Noch hundert Meilen«, sagte Carl kauend. »Wird knapp. Entweder er trifft uns heute Nacht, oder er zieht haarscharf vorbei nach Carolina.«
    Die Meteorologen konnten nicht genau bestimmen, wo er auf Land treffen würde, da das Verhalten eines solchen Sturms unberechenbar ist. Um 23:00 Uhr war er noch fünfzig Meilen entfernt. Erste Ausläufer tasteten sich zur Küste vor, und wir hörten die Palmwedel im Garten rascheln. Der Wind frischte auf.
    »Es ist besser, ihr geht jetzt rüber ins Gästehaus«, meinte Carl. »Das ist von allen das sicherste Gebäude. Lasst den Fernseher an, und so lange das Telefon noch geht, könnt ihr uns anrufen, wenn etwas ist. Sollte es aber richtig losgehen, müsst ihr im Zimmer bleiben, bis der Sturm abgeflaut ist. Und wenn es drei Tage dauert, okay?«
    »Okay.«
    Mit gemischten Gefühlen traten wir nach draußen und überquerten den kleinen Hof. In den wenigen Stunden hatte sich das Klima komplett verändert. Die Luft war drückend und schwer.
    »Keine Sterne«, sagte Liz und zeigte zum Himmel.
    »Hm«, machte Gina. »Lasst uns reingehen. Ich möchte nicht warten, bis Ziegel durch die Luft fliegen.«
    Wir verriegelten die Tür hinter uns und waren froh, dass das Licht noch anging. Durch die verbarrikadierten Fenster konnten wir ja nicht nach draußen sehen und fühlten uns wie in einem Bunker. Wir stellten den Fernseher an und sahen auf dem überall präsenten Satellitenbild, dass der Rand des Wirbels bald die Küste South Carolinas erreichen würde, nicht weit von Florida entfernt.
    »Er dreht nach Norden«, meinte Liz.
    »Eher Nordwesten«, sagte Gina. »Dann kriegt er uns noch.«
    Diese Nacht wird in meinem Gedächtnis bleiben wie kaum eine andere. Eine halbe Stunde nachdem wir uns in unserem Zimmer verschanzt hatten, drangen die Geräusche des Windes zu uns herein. Es war ein stetig zunehmendes Rauschen, das an- und abschwoll. Seltsamerweise waren keine Böen dabei. Die harten Wedel der Palmen und die großen Blätter der tropischen Gewächse im Garten entwickelten eine ganz eigene Akustik, die nicht mit dem Rauschen in den Wipfeln unserer heimischen Bäume zu

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