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Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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können, dass keine noch so große Gefahr Paria davon abhielt, in den Bergen umherzustreifen. Was hatte sie auch schon von den Schwarzen Kriegern zu befürchten? Sie war Neleos’ Gefährtin und die Dorfseherin. Sie las den Willen der Götter in der Asche, hörte ihn im Rauschen der Blätter und konnte ihre Feinde mit Flüchen oder einem Zauber belegen. Mit einer Seherin legte sich niemand an, nicht einmal die Krähenkrieger aus dem Geschlecht des Koronos.
    »Du bist weit weg von zu Hause, junger Herr«, sagte Paria und entblößte ihr schwarzes Gebiss.
    »Genau wie du, Alte«, entgegnete er vorsichtig. Beim Näherkommen schlug ihm schaler Uringeruch entgegen, und er sah Läuse in den Falten ihrer Tunika krabbeln.
    »Wohin bist du unterwegs?«, fragte sie und verneigte sich unterwürfig.
    Telamon lief rot an. Die Verbeugung wirkte aufgesetzt und spöttisch. Die Alte wusste genau, dass er Angst vor ihr hatte.
    Sie lachte heiser und klopfte auf den Pinienstamm. »Paria ist hier, um zu hören, was das Orakel sagt. Aber du, junger Herr, gehst in die falsche Richtung. Dein Vater braucht dich in Lapithos.«
    Er sah sie trotzig an. »Du kannst nicht wissen, was mein Vater will.«
    »Paria weiß vieles, ohne dass man es ihr sagt. In Lapithos gehen schlimme Dinge vor sich, der Stammesfürst braucht seinen Sohn.«
    Telamon zögerte. Sollte er nach Westen gehen und Issis Spur folgen oder nach Hause zurückkehren? »Lies in den Blättern«, befahl er der Seherin. »Sag mir, wohin ich gehen soll.«
    Sie zog einen kleinen Beutel aus Vogelhaut zwischen ihren schlaffen Brüsten hervor, schüttelte daraus ein paar Körnchen in ihre Hand und streute sie über die Baumwurzeln. »Knochenmehl«, teilte sie ihm kichernd mit. »Feingemahlene Knochen für meinen Baum. Die Reichen zahlen den Seher, die Armen bitten Paria, dem Baum zu lauschen, aber es ist stets derselbe Gott, der zu ihr spricht.«
    »Auf deine Bezahlung musst du noch warten«, gab Telamon ungeduldig zurück.
    Paria warf ihm einen verschlagenen Blick zu. »Oh, Paria ist geduldig, sie weiß, der junge Herr wird zahlen.«
    Wie aus dem Nichts frischte ein Wind auf und fuhr in die Zweige der Pinie. Paria lauschte mit schiefgelegtem Kopf, während sie Telamon unentwegt mit ihren schwarzen Käferaugen ansah. Lieber hätte er den Blick abgewandt, aber das war unmöglich. Schweiß perlte über seinen Rücken und brachte die Peitschenstriemen zum Brennen. Er spürte, wie die Alte die dunklen Gefilde seines Geistes erforschte.
    Endlich sagte sie: »Die Wege der Menschen sind verschlungen wie Wurzelwerk. Mit deinem Herzen ist es ebenso, junger Herr. Das sagt jedenfalls mein Baum.«
    »Da-das ist keine Antwort.«
    Wieder grinste sie. »Aber es ist die Wahrheit.«
    »Ich habe nicht um ein Rätsel gebeten«, gab er wütend zurück.
    Paria lachte und fütterte ihren Baum erneut.
    Telamon schritt unruhig auf und ab und drosch mit dem Stock auf die Disteln ein. Einerseits musste er Issi finden und Hylas jenseits des Gebirges treffen – andererseits brauchte ihn sein Vater in Lapithos. Schlimme Dinge gingen vor sich …
    Er warf den Stock ins Gebüsch. Seine Freunde brauchten ihn dringender.
    Telamon verabschiedete sich mit einem knappen Nicken von Paria, schulterte den Vorratsbeutel und schlug den Weg nach Westen ein, Richtung Meer.

S eit dem Morgen war der Seevogel dem Boot gefolgt und hatte dabei immer wieder auf Hylas herabgespäht, als wollte er sagen. Na so was, bist du etwa immer noch am Leben? Anfangs hatte Hylas vergebens versucht, den lästigen Begleiter mit dem Ruder zu vertreiben, inzwischen hatte er es aufgegeben.
    Er hatte in Richtung Norden rudern wollen, doch das Meer zog ihn unweigerlich nach Süden. Land war nach wie vor nicht in Sicht. Seine Schultern waren bereits von der Sonne verbrannt, und sein Schädel pochte. Er konnte vor Durst kaum noch schlucken und war schrecklich hungrig. Voller Bedauern dachte er an den Vorratsbeutel, den er an der Küste zurückgelassen hatte.
    Hylas hatte am Horizont nach Schiffen Ausschau gehalten, bis seine Augen brannten, bisher jedoch ohne Erfolg. Gelegentlich hatte er zwar geglaubt, ein Segel zu erspähen, aber am Ende waren es jedes Mal nur Wellen gewesen. Er wusste, dass die erbarmungslosen Krähen die Verfolgung nicht aufgeben würden. Sie waren wie Erzürnte in Menschengestalt.
    Als der Durst unerträglich wurde, trank er eine Handvoll Meerwasser und musste davon würgen. Er hatte auch versucht, seinen eigenen Urin zu trinken, aber

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