Godspeed Bd. 2 - Die Suche
Ältesten verstecken musste. Ich kann mir nicht vorstellen, was jemanden dazu bewegen kann, sich freiwillig in dieses dunkle Treppenhaus zu sperren, wo nicht einmal die unechte Sonnenwärme der Solarlampe hineinfällt. Wie viele Tage sind wohl vergangen, bis er die Dunkelheit nicht mehr ertragen konnte und als Archivar getarnt wieder aufs Versorgerdeck zurückgeschlichen ist? Hat er seine Zeit an der Außenwand des Schiffs verbracht oder an der Innenwand zum Versorgerdeck?
Was immer er gemacht hat, das hier war das perfekte Versteck, denn niemand weiß von dieser Treppe.
Ich habe einmal in einem schicken Hotel in Atlanta übernachtet, weil meine Mom dort auf einer Genetik-Konferenz einen Vortrag gehalten hat. Die meiste Zeit habe ich im Hotelpool verbracht. Als ich am letzten Tag wieder in unser Zimmer wollte, um meine Sachen zu packen, war der Fahrstuhl außer Betrieb. Es hat eine halbe Stunde gedauert, die Treppe zu finden, und als ich sie endlich entdeckt hatte, lag sie hinter einer Tür mit einer winzigen Aufschrift. Ich hatte eine ganze Woche lang keine Ahnung, wo die Treppe überhaupt war, obwohl mir natürlich klar war, dass das Hotel logischerweise irgendwo eine haben musste.
Die Menschen der Godspeed haben schon seit Jahren keine Ahnung mehr, dass sie eine Treppe haben. Und das lässt mich darüber nachdenken: Wenn sie die Treppe vergessen haben, was haben sie dann noch vergessen?
45
Junior
Ich drücke meinen Daumen noch einmal auf den biometrischen Scanner, und die Metallpaneele der Decke fangen an, sich wieder zu schließen. Shelby starrt unverwandt zur Decke, bis es dort nichts mehr zu sehen gibt.
»Wir sind da«, sagt sie ehrfurchtsvoll und mit tränenerfüllter Stimme. »Wir sind hier.«
»Wir sind hier.«
Einen Augenblick lang lächeln wir uns an. Dann wandert ihr Blick wieder auf Maraes ermordeten Körper. Ich bedaure zutiefst, dass sie den Planeten nie sehen wird.
»Ich werde Maraes Leiche selbst zu den Sternen schicken«, sage ich. »Und du musst die anderen Leitenden Techniker hierher auf die Brücke holen und die Vorkehrungen treffen, die für die Landung nötig sind.«
Sie nickt. »Dafür sind alle Leitenden Techniker ausgebildet. Wir haben Simulatoren, und die Informationen sind weitergereicht worden, seit …«
»Seit das Schiff die Sol-Erde verlassen hat.«
»Wir waren immer für die Landung auf dem Planeten bereit, auch wenn sie noch Jahrhunderte entfernt schien.«
»Wie viel Zeit werdet ihr brauchen?«
Shelby betrachtet nachdenklich die Kontrolleinheiten. »Der Erste Techniker muss Scans durchführen …«
Ihr Blick huscht zu mir. Sie hat ganz vergessen, dass sie ja jetzt der Erste Techniker ist.
»Ich werde Scans durchführen. Wir müssen sicherstellen, dass der Planet bewohnbar ist.«
»Ich dachte, das wüssten wir längst.«
Shelby nickt. »Vor Beginn der Mission haben Erkenntnisse von der Sol-Erde vermuten lassen, dass der Planet Leben ermöglicht, aber das erste Stadium der Landung besteht darin nachzuweisen, dass dies auch wirklich der Fall ist. Ich bin ehrlich gesagt ein wenig beunruhigt. Wenn der Antrieb des Schiffes schon so lange außer Betrieb ist, weil wir uns in der Umlaufbahn befinden … wieso sind wir dann nicht schon längst gelandet?«
Mein anfängliches Erstaunen über den Planeten ist mittlerweile auch dieser Frage gewichen. Es ist durchaus denkbar, dass wir uns schon seit der Seuche in der Umlaufbahn befinden – vielleicht hat die Rebellion, die zur Einführung des Ältesten-Systems geführt hat, genau zu jener Zeit stattgefunden. Wieso ist das Schiff nicht längst gelandet?
»Bevor wir überhaupt an eine Landung denken, muss ich wissen, ob sie möglich ist«, sage ich zu Shelby.
»Ich werde die Scans selbst durchführen. Sie werden mehrere Stunden in Anspruch nehmen. Dann wissen wir mehr.«
»Aber zuerst«, sage ich, »müssen wir Abschied nehmen.«
Shelbys Blick fällt wieder auf Marae, die immer noch an die Decke starrt. Sie nickt schweigend.
Shelby bringt mir eine Transporteinheit – eine gefaltete schwarze Box, ausgestattet mit Elektromagneten, die auf die Regler im Metallboden des Schiffs reagieren und zum Transport schwerer Lasten entworfen wurde. Sie lässt die Transportbox aufschnappen. Sie entfaltet sich selbsttätig zu einem großen Rechteck mit einem drahtlosen Kommunikator, der Verbindung zur Schwerkraftröhre aufnimmt. Die Transportbox ist für Maschinenteile benutzt worden – sie ist schmutzig, verkratzt und mit einem
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