Godspeed | Die Ankunft
tippe auf ANTRIEB . Auch der Maschinenraum ist menschenleer. Die Kamera ist so positioniert, dass ich sowohl die Maschine als auch das schwere Schott sehen kann, hinter dem sich die Überreste der Brücke befinden. Das Schott ist versiegelt. Ich versuche, die kleinen Kontrollbildschirme hinter der Maschine zu betrachten – soweit ich es erkennen kann, ist alles in Ordnung.
Wieso ist dann niemand auf diesem Deck?
Plötzlich bemerke ich das rote Blinklicht auf dem Antriebsaggregat. Es ist riesig, aber durch den Winkel der Kamera ist der Großteil des roten Glühens nicht zu sehen. Mein Mund ist plötzlich ganz trocken. Ich weiß, was dieses rote Leuchten bedeutet. Auf dem gesamten Technikdeck wird ein ohrenbetäubender Alarm heulen.
Der davor warnt, dass es im Reaktor zu einer Kernschmelze kommt.
Ich sehe genauer hin. Ich kann nicht heranzoomen und starre deshalb auf den Schirm, weil ich begreifen will, was da vor sich geht. Auch Amy beugt sich vor, und ihr rotes Haar fegt über den Bildschirm, bevor sie es sich über die Schulter wirft.
Als Doc die Brücke gesprengt hat, war die Maschine dem Weltall ausgesetzt und auch dem rasanten Druckabfall, der alles durch das Loch hinausgesaugt hat, wo einst die Brücke war. Die Maschine ist für eine lange Lebensdauer konzipiert worden, aber sie ist schon sehr alt. Sie kann durchaus beschädigt worden sein – zumal ich kurz nach der Explosion der Brücke mit dem Shuttle abgeflogen bin. In diesen Tagen hat niemand gearbeitet und es hat auch niemand den Antrieb kontrolliert. Er konnte schon die ganze Zeit eine unbemerkte Fehlfunktion gehabt haben. Vor meinem Abflug hatten ein paar Techniker die Maschine inspiziert, aber waren sie gründlich? Was, wenn sie etwas übersehen hatten?
Wenn die Maschine stirbt, stirbt die
Godspeed
.
So einfach.
Ich beuge mich noch dichter an den Bildschirm. Ich will das nicht sehen; ich will nicht mit dieser Schuld leben.
Ich habe meine Leute dem sicheren Tod überlassen.
Bei dieser Vorstellung zuckt meine Hand und es erscheinen zufällig die Livebilder vom Krankenhaus. Ich will sie abschalten, aber Amy packt meine Hand. »Warte«, sagt sie und starrt auf den Bildschirm.
Ich wende mich ab. Ich kann darauf verzichten, mich vom Betongesicht des ursprünglichen Ältesten verhöhnen zu lassen.
»Ein Umhang voller Sterne …«, flüstert Amy und zupft an meinem Arm. »Was trägt der Statuen-Mann da?«, fragt sie.
Ich brauche nicht hinzusehen, um ihr diese Frage zu beantworten. »Das ist die Ältestenrobe.«
Amy sieht verwirrt aus, und ich erinnere mich, dass sie die Robe nie gesehen hat. Ich habe sie nur ein einziges Mal getragen, als ich den Menschen auf dem Schiff verkündet habe, dass wir am Planeten angekommen waren, aber Amy war nicht dabei. Sie hatte Angst vor der Menschenmenge und das aus gutem Grund.
»Es ist ein schwerer Umhang aus Wolle, den der Älteste nur bei besonderen Anlässen trägt«, erkläre ich. Ich sehe ihn vor mir: der untere Saum ist mit der Oberfläche des Planeten verziert und an den Schultern ist die Robe mit Sternen bestickt.
Sterne an den Schultern.
»Junior,
Der kleine Prinz
!«, ruft Amy aufgeregt. »Weißt du noch? Die Abbildung zeigt einen König – und der Älteste ist so etwas wie ein König, nicht wahr? – und Orion hat das Herz seiner Robe markiert – einer Robe mit Sternen.«
Ich betrachte die Statue. Sie besteht aus Beton und wurde vom Seuchenältesten in Auftrag gegeben. Wenn es ein Geheimnis gibt, das den Planeten betrifft, muss der Seuchenälteste es gekannt haben. Er war es, der das System der Ältestenherrschaft eingeführt hat, und er war es auch, der beschlossen hat, das Schiff nach unserer Ankunft nicht zu landen. Natürlich musste es einen Grund dafür gegeben haben,
wieso
er die
Godspeed
nicht landen wollte – und wo hätte er diesen Grund besser verstecken können als im Beton seiner eigenen Statue?
»Es passt alles zusammen«, stellt Amy staunend fest. »Der Hinweis, der letzte Hinweis, der uns verrät, was hier vorgeht – ist in der Statue.«
»In der Statue«, wiederhole ich. »Auf dem Schiff, in der Umlaufbahn,
im Weltraum
.«
Amy seufzt abgrundtief. Zu wissen, dass der Hinweis dort versteckt ist, bringt uns kein bisschen weiter.
Auf dem Bildschirm lenkt mich eine Bewegung von der Statue ab. Jemand geht durch den Krankenhausgarten. Der Weg führt um eine Kurve, wodurch der Mann einen Moment außer Sichtweite ist, doch kurz darauf taucht er vor der Statue wieder
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