Godspeed | Die Ankunft
merkwürdig. So anders. Meine Güte, Amy, diese Schiffsgeborenen sind nicht wie wir!«
»Du weißt doch gar nicht, wovon du redest!«, werfe ich ihm lauter als beabsichtigt an den Kopf. Wir werden noch die ganze Kolonie aufwecken. »Das sind ganz normale Menschen.
Gute
Menschen.«
Dad schüttelt mitfühlend den Kopf, was mich noch wütender macht. »Ach, Amy«, sagt er. »Du solltest eigentlich gar nicht hier sein.«
In meinem Kopf macht es Klick. »Wieso hast du mich dann vor die Wahl gestellt?«, frage ich, und meine Stimme wird mit jedem Wort lauter und schriller. »Wieso hast du mir die Entscheidung überlassen? Du hättest mich darauf vorbereiten können. Aber nein – du hast gewartet, bis Mom eingefroren war, dich dann selbst einfrieren lassen und mich allein zurückgelassen, damit ich entscheide, ob ich für dich alles aufgeben soll! Und als ich das getan habe – war es die falsche Entscheidung! Wenn du mich nicht dabeihaben wolltest, wieso hast du mir das nicht gesagt? Wieso hast du es mir überlassen? Wieso hast du so getan, als wäre es meine Entscheidung, obwohl du nicht einmal irgendwas für mich eingepackt hast? Ich habe die Koffer im Lager gesehen – und der mit meinem Namen ist
leer
!«
Nach diesem Ausbruch bin ich ganz außer Atem, mein Gesicht glüht, und meine Fäuste sind geballt, aber das ist mir egal.
Dads Kiefer mahlen. »Das tut mir leid«, würgt er hervor. »Ich habe deiner Mutter versprochen, dass ich nicht versuchen würde, dich zum Bleiben zu überreden, und habe befürchtet, dass du genau das Gegenteil tun würdest, wenn ich dir gesagt hätte, was du tun sollst. Ich wollte, dass du eine Entscheidung triffst, mit der du leben kannst.«
»Das
habe
ich.«
»Ich wusste doch nicht, dass es ein solches Chaos sein würde. Dies ist nicht die Mission, die ich erwartet habe. Und ich hatte keine Ahnung, dass du so früh aufwachen würdest. Ich wünschte, das wäre nicht geschehen. Vielleicht würdest du dann einsehen, dass das Schiffsvolk –«
»Fang damit gar nicht erst an«, falle ich ihm ins Wort. »Das ›Schiffsvolk‹ hat mit unserer Unterhaltung nichts zu tun.«
»Die hassen dich.« Dad starrt mich an und wartet darauf, dass ich verlegen wegschaue. »Ich sehe doch, wie sie vor uns zurückzucken, wie sie uns ansehen, als wären wir Freaks – auch dich.«
»Junior hasst mich nicht«, erwidere ich, denn das weiß ich mit absoluter Sicherheit.
Dad lacht laut auf. »Junior ist ein
Teenager
. Er hasst nichts, das Brüste hat!«
Ich weiche zurück, als hätte Dad mir ins Gesicht geschlagen.
»Amy, du kannst ihm nicht vertrauen. Und du kannst – darfst – dich nicht in diesen Jungen verlieben. Ich glaube fast, du hast zugelassen, dass diese drei Monate auf dem Raumschiff die ganzen Jahre auf der Erde verdrängt haben. Du bist eine von uns. Du bist mein kleines Mädchen.«
»Jetzt nicht mehr«, erwidere ich grausam, weiche ihm aus und will ins Haus flüchten.
Dad packt mich und reißt mich zurück. Einen panischen Moment lang fürchte ich, dass er mich schlagen wird, doch das tut er nicht. Er nimmt mich in die Arme und drückt mich so fest, dass ich kaum Luft bekomme. »Ich lasse dich nicht gehen, solange du wütend auf mich bist, Amy«, flüstert er in meine Haare. »Wir können uns streiten und unterschiedlicher Meinung sein, aber ich werde nie zulassen, dass du von mir weggehst und denkst, ich würde dich nicht lieben.«
Er lässt mich los und ich trete vollkommen verdutzt zurück. So emotional kenne ich Dad gar nicht. »Diese Welt ist gefährlich, Amy«, sagt er. »Ich weiß nicht, was passieren wird. Ich kann dich nicht wütend gehen lassen. Dafür liebe ich dich viel zu sehr.«
Er hält seinen kleinen Finger hoch und wartet darauf, dass ich meinen einhake.
Das Eis in mir schmilzt. »Ich liebe dich auch«, sage ich und bekräftige es mit einem Kleinfingerschwur wie damals, als ich noch ein Kind war. »Ich schwöre.«
Und es ist mir Ernst damit: Ich liebe ihn.
Ich weiß nur nicht, ob ich ihm auch trauen kann.
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32 Junior
Am nächsten Morgen reißen mich hastige Schritte auf der Treppe meines Hauses aus dem Schlaf. Ich strecke mich und mein Nacken knackt. Ich habe mir ein behelfsmäßiges Bett aus all meinen Kleidungsstücken gemacht, aber ich muss mir bald etwas Besseres einfallen lassen – vor allem für die schwangeren Frauen, die auf dem blanken Boden sicher noch schlechter schlafen als ich.
»Junior!«, ruft Amy atemlos und kommt ins Zimmer
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