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Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heartland
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telefonieren. Du kannst da sitzen und darüber nachdenken, was du mir heute hier angetan hast. Das ist eine Sünde.«
    Blue Gene verdrehte die Augen. »Ich geh mal eine rauchen.« Henry nickte, und Blue Gene ging hinaus. Dann ließ Henry dem Anrufer von seiner Sekretärin ausrichten, er solle es später noch einmal probieren. Er musste sich sammeln und überlegen, wie er mit dieser heiklen Situation umgehen sollte. Blue Gene durfte sein Büro erst verlassen, wenn er ihn dazu gebracht hatte, nie wieder Kontakt zu Bernice Munly aufzunehmen. Doch das würde nicht leicht sein, da er wie üblich die Rolle des herzlosen Unternehmerschurken zu spielen hatte, ein hundsgemeiner Versace-Anzug, der ein fleischgewordenes Multimillionenvermögen kleidete. Das war nichts [380] Neues. Inzwischen war er so weit, dass er ohnehin davon ausging, dass ihn alle wegen seines märchenhaften Reichtums zwangsläufig hassten. Seit seiner Jugend dachte er immer, wenn er jemanden kennenlernte, könne der- oder diejenige ihn unmöglich mögen. Und auch nach vierzig Jahren Ehe fragte er sich, ob seine Frau ihn wirklich liebte. Doch ein reicher Mann durfte natürlich keine Probleme haben. Die Bernice Munlys dieser Welt hatten ein Monopol auf Leiden. Am liebsten hätte er seine Kindheit Tag für Tag mit der von Bernice verglichen, um herauszufinden, wem es wirklich schlimmer ergangen war.
    Da fiel ihm ein, wie er Eugene in den Griff bekommen könnte. Sein Sohn war offenbar sehr anfällig für rührselige Geschichten. Damit käme Henry zwar in Konflikt mit einem seiner anderen Grundsätze, nämlich nie freiwillig einem anderen gegenüber Schwäche zu zeigen. Doch jetzt blieb ihm kaum etwas anderes übrig, wenn er daran dachte, welche Auswirkungen Bernice’ Auftauchen auf Johns Wahlkampf haben könnte, von dem Erbe der Familie Mapother ganz zu schweigen.
    Kaum war Blue Gene draußen, als ihm einfiel, dass er kein Raucher mehr war. Er hatte vierundzwanzig Stunden zuvor aufgehört, es aber vergessen, weil sein Vater ihn so konfus gemacht hatte. Jetzt wünschte er sich, er hätte seine Parliaments nicht weggeworfen, denn jetzt konnte er nur noch Schleim hochziehen und über den Parkplatz von Westway spucken, wo früher einmal ein Kino gestanden hatte.
    Er wünschte, er hätte wegen der Sache zuerst mit seiner Mutter gesprochen, doch die war gegenwärtig mit ein paar [381] Frauen aus ihrer Kirchengemeinde auf einer zehntägigen Missionsreise in Mexiko. Sie sagte, sie nehme an dieser Reise teil, um Antworten auf ihren Traum und dessen neuen, bedrohlichen Unterton zu finden.
    Er räusperte sich und zog die breiten Schultern hoch. Er musste sich wehren und durfte sich von den Sprüchen seines Vaters nicht in die Ecke drängen lassen. Wenn sein Vater ihm zusetzte wie vorhin in seinem Büro, kam Blue Gene sich vor wie ein kleines Kind in einem Gerichtssaal. Er nahm sich vor, hart zu bleiben und seinem Vater Kontra zu geben, auch wenn es eine Sünde war. Durch diese Stadt flatterten alle möglichen Sünden wie Vampirfledermäuse, und eine andere Meinung als seine Eltern zu haben war verglichen damit höchstens eine Stubenfliege.
    Blue Gene nahm den Fahrstuhl hinauf in den dritten Stock und setzte sich wieder auf den burgunderroten Ledersessel vor dem Schreibtisch seines Vaters. Henry erhob sich und nahm hinter Blue Gene Aufstellung. Der drehte sich um.
    »Ich möchte dir etwas erzählen, was ich in diesem Leben nur sehr wenigen Menschen erzählt habe«, begann Henry dramatisch. »Als ich ein kleiner Junge war, hatte ich fast jeden Morgen Durchfall, bevor ich zur Schule ging.«
    Blue Gene lachte.
    »Lach mich nicht aus. Es fällt mir nicht leicht, darüber zu sprechen.« Um nicht wieder lachen zu müssen, betrachtete Blue Gene den weißen Teppich. Man sah immer noch Linien, wo kürzlich Staub gesaugt worden war. »Darf ich fortfahren?«
    »Ja. ’tschuldigung.«
    »Als Kind hatte ich einen nervösen Magen. Ich war [382] nervös, weil ich mich vor jedem Schultag fürchtete. Ich war der kleinste, kränklichste, magerste Knabe in meiner Klasse. Die anderen Kinder machten mir Angst. Sie waren so frech und laut. Sie hackten auf mir herum. Die größten von ihnen hoben mich sogar hoch und trugen mich. Es war demütigend. Mein Vater schämte sich für mich. Ich flehte meine Eltern an, mich die Schule wechseln zu lassen, und sobald ich alt genug war, ging ich auf die Groton Highschool. Auf der Groton schwor ich mir, die Sorte Sohn zu werden, auf die mein Vater stolz

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