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Goebel, Joey

Goebel, Joey

Titel: Goebel, Joey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heartland
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seiner Ecke Platz. »Ich hab dir doch gesagt, dass ich nicht mit dir komme.« Wieder hockte er sich im Schneidersitz hin. Ein dunkelbrauner Dreckfilm klebte an seinen Fußsohlen.
    »Es tut mir leid, dass du es so herausfinden musstest, Eugene. Das kannst du mir glauben. Wir wollten es dir irgendwann erzählen.«
    »Wann? An meinem vierzigsten Geburtstag?«
    Henry seufzte. Er stand auf, zog sein schwarzes Jackett aus und legte es sich ordentlich über den Arm. Dann nahm er wieder Platz, diesmal mehr in der Mitte der Betonbank. Er schlug die Beine übereinander und beugte sich zu Blue Gene hinüber.
    »Ich habe gewartet, bis du bereit wärst.«
    »Ich bin siebenundzwanzig!«
    »Hör mir doch zu. Ich bin neunundsechzig, und wenn du so lange gelebt hast wie ich, hältst du Rückschau auf die Ereignisse, die dein Leben geprägt haben, und dann sieht jedes einzelne Ereignis ganz klein aus. Es sieht ganz klein aus, weil dein Leben so groß geworden ist. Andererseits sind da die Kinder. Kinder haben keine großen Leben. Im Gegenteil, für sie ist das Leben etwas Kleines, Zerbrechliches, und deshalb erscheint ihnen alles, was ihnen widerfährt, gewaltig und traumatisch. Deshalb haben wir so lange damit gewartet, es dir zu sagen, damit diese Ereignisse deines Lebens die angemessenen Proportionen erhalten.«
    » Die angemessenen Proportionen. O mein Gott.«
    [436] »Ich betrachte dich immer noch als Kind. Allein schon, wie du dich jetzt aufführst. Du weigerst dich, die Ausnüchterungszelle zu verlassen.«
    »Lieber hier als bei euch ein falsches Leben leben.«
    »Vielleicht gehörst du dann doch hierher.«
    »Genau, schließlich stamme ich von Pöbel ab, und Pöbel gehört in den Knast. Ist das nicht deine Ansicht?«
    »Du bist kein Pöbel.«
    »Die Hälfte von mir schon. Deshalb bin ich so, wie ich bin. Deshalb hasst du mich.«
    »Ich hasse dich nicht, und es ist nicht erblich. Du wurdest nicht als Pöbel geboren. Das hast du dir selbst ausgesucht.«
    »Also, darüber hab ich unten am Fluss nachgedacht. Die eine Hälfte von mir hat es so gewollt, die andere Hälfte wurde so geboren. Das glaube ich.«
    »Ich glaube, dass du dich irrst.«
    »Außerdem ist mir letzte Nacht klargeworden, dass du Angst hast.«
    »Angst wovor?«
    »Angst davor, dass so etwas wie ich von euch abstammen konnte. Ihr wart an meiner Entstehung beteiligt. Zwar nur zur Hälfte, aber dein perfekter Sohn hat mitgewirkt. Deshalb hasst du mich.«
    »Du hast es so gewollt.« Henry ächzte und lehnte sich an die Wand. »Aber ich bin immer noch dein Vater, du bist immer noch mein Sohn. Ich hasse dich nicht, und ich will, dass wir nach Hause fahren und das in Ordnung bringen.«
    »Ich habe das schon allein in Ordnung gebracht.«
    »Du kannst das unmöglich allein in Ordnung bringen. So einfach ist es nicht. Ich wusste nämlich, dass dieser Tag [437] kommen würde, verstehst du? Ich weiß sogar schon seit einer Weile, was ich sagen würde. Du musst wieder ganz von vorn anfangen. Du musst alles neu lernen. Stell dir Lernen wie eine Menge Kleiderbügel aus Draht vor, die alle miteinander verheddert sind, und dein Lernen begann als einzelner Bügel, doch wenn du heranwächst, kommen andere Bügel –«
    »Hör auf, von Kleiderbügeln zu reden!«
    »Lass mich ausreden. Jedes Detail, das man lernt, ist ein neuer Kleiderbügel, der sich in dem Wirrwarr verhakt. Das heißt, um sich etwas einzuprägen, muss man es in etwas einhaken, was man bereits weiß. Aufgrund von Johns jugendlichem Leichtsinn, von dem du kürzlich erfahren hast, muss ich leider eingestehen, dass du von Anfang an Falsches gelernt hast. Wir müssen jetzt also einen Bügel nach dem anderen lösen, bis wir zu einem handlicheren Klumpen gelangt sind.«
    »Was quatschst du da eigentlich?«
    »Wir wollen dir helfen. Wir werden dir durch diese Sache helfen, deine Mutter und ich, wenn du die Hilfe annimmst. Wir helfen dir, zu dir selbst zu finden, und sobald dir das gelungen ist, kannst du eine fundierte Entscheidung darüber treffen, wer du wirklich bist. Dann – und erst dann – wirst du entscheiden können, ob du so leben willst, wie du bisher gelebt hast, oder ob du wie einer von uns leben willst.«
    »Ich weiß bereits, dass ich nicht leben will wie einer von euch. Das ist mir schon lange klar. Ist das nicht offensichtlich? Und jetzt bin ich mir da völlig sicher, denn ihr seid nichts als ein Haufen Lügner. Und jetzt mach dich vom Acker.«
    Henry stand auf. »Ganz ehrlich, ist das denn wirklich so

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