Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
soviel Vertrauen in die Widerspruchsfreiheit von TNT haben sollten, wie wir das bei der Aussagenlogik tun konnten, und wenn nein, ob es möglich ist, unser Vertrauen in TNT zu festigen, Indem wir seine Widerspruchsfreiheit beweisen. Man könnte mit derselben Bemerkung über die „Offensichtlichkeit“ der Widerspruchsfreiheit von TNT beginnen, wie es Frl. Unklug im Hinblick auf die Aussagenlogik tat — nämlich, daß jede Regel ein Prinzip des folgerichtigen Denkens enthält, an das wir unbedingt glauben, und daß man deshalb seine eigene Zurechnungsfähigkeit in Frage stellt, wenn man die Widerspruchsfreiheit von TNT in Frage stellt. Bis zu einem gewissen Grad hat dieses Argument noch immer Gewicht, wenn auch nicht mehr ganz so viel. Es gibt einfach zu viele Schlußregeln, und einige von ihnen könnten „danebengehen“. Weiter: woher wissen wir denn, daß das Modell, das wir uns in Gedanken von gewissen Einheiten machen, die wir „natürliche Zahlen“ nennen, tatsächlich ein kohärentes Gebilde darstellt? Vielleicht sind unsere eigenen Denkprozesse, diese informalen Prozesse, die wir in den formalen Regeln des Systems einzufangen versuchten, selbst widerspruchsvoll! Das ist natürlich nicht das, was wir erwarten, aber es wird immer mehr denkbar, daß unser Denken uns in die Irre führt, je komplexer die Materie wird — und die natürlichen Zahlen sind alles andere als eine triviale Materie. Also muß Frl. Klugs Ruf nach einem Beweis der Widerspruchsfreiheit in diesem Fall ernster genommen werden. Wir zweifeln ja nicht ernsthaft daran, daß TNT widerspruchsvoll sein könnte — aber ein kleiner Zweifel, ein Funke, ein Glimmen von Zweifel in unserem Hirn bleibt doch, und der Beweis würde dazu beitragen, diesen Zweifel zu zerstreuen.
Was für Beweismittel würden wir jedoch gerne angewendet sehen? Wieder sehen wir uns mit dem immer wiederkehrenden Problem der Zirkularität konfrontiert. Wenn wir dasselbe Werkzeug in einem Beweis über unser System gebrauchen, das wir in es hineingegeben haben — was haben wir damit geleistet? Brächten wir es fertig, uns vonder Widerspruchsfreiheit von TNT zu überzeugen, indem wir ein schwächeres System als TNT gebrauchen, so haben wir den Einwand, daß es sich um einen Zirkelschluß handle, überwunden! Man denke daran, wie ein schweres Tau von einem Schiff zum anderen gebracht wird (jedenfalls las ich es so als Junge): Zunächst schießt man einen leichten Pfeil über den Zwischenraum hinweg, der ein dünnes Seil hinter sich nachzieht. Wenn dann auf diese Weise die Verbindung zwischen den Schiffen hergestellt ist, kann das schwere Seil nachgezogen werden. Wenn wir ein „leichtes“ System gebrauchen können, um zu zeigen, daß ein „schweres“ System widerspruchsfrei ist, dann haben wir wirklich etwas geleistet!
Auf den ersten Blick könnte es nun scheinen, daß es ein dünnes Seil gibt. Unser Ziel ist ja, den Beweis zu führen, daß TNT eine bestimmte typographische Eigenschaft besitzt, nämlich die Widerspruchsfreiheit, daß also S ÄTZE der Form x und x niemals gemeinsam auftreten. Das ähnelt dem Versuch, zu zeigen, daß MU kein S ATZ des MIU-Systems ist. Beides sind Aussagen über typographische Eigenschaften von Systemen zur Manipulation von Symbolen. Die Vorstellung von einem dünnen Seil basiert auf der Annahme, daß Tatsachen über die Zahlentheorie nicht benötigt werden um zu beweisen, daß eine solche typographische Eigenschaft gilt. In anderen Worten: wenn Eigenschaften von ganzen Zahlen nicht verwendet werden — oder doch nur einige äußerst einfache —, dann können wir das Ziel, die Widerspruchsfreiheit von TNT zu beweisen, durch die Anwendung von Mitteln erreichen, die schwächer sind als seine eigenen internen Folgerungsweisen.
Das ist die Hoffnung, die zu Beginn dieses Jahrhunderts von einer wichtigen Schule von Mathematikern und Logikern unter der Führung von David Hilbert gehegt wurde. Das Ziel war, die Widerspruchsfreiheit der Formalisierung der Zahlentheorie, ähnlich TNT, zu beweisen und dazu eine sehr beschränkte Menge von Folgerungsprinzipien zu verwenden, die man „finitistische“ Folgerungsmethoden nannte. Das wäre das dünne Seil. Zu den finitistischen Methoden gehören alle Schlußfolgerungen, wie sie in der Aussagenlogik verkörpert sind, und dazu gewisse Arten des numerischen Folgerns. Gödels Arbeit zeigt aber, daß jeder Versuch, das schwere Tau der Widerspruchsfreiheit von TNT unter Verwendung des dünnen Seils der
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