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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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für den allgemeinen Begriff „Wasserfall“, oder gibt es verschiedene Symbole für verschiedene spezifische Wasserfälle? Oder sind beide Alternativen möglich? Was den „Umfang“ anbelangt, so könnte man fragen: Gibt es ein Symbol für eine ganze Geschichte? Oder für eine Melodie? Oder einen Scherz? Oder ist es wahrscheinlicher, daß es Symbole nur für Begriffe gibt, die grob gesprochen der Länge von Wörtern entsprechen, und daß umfangreichere Gebilde wie etwa Redewendungen oder Sätze durch die gleichzeitige oder aufeinanderfolgende Aktivierung verschiedener Symbole repräsentiert werden?
    Betrachten wir das Problem des Umfanges der durch Symbole repräsentierten Begriffe. Die meisten in Sätzen ausgedrückten Gedanken setzen sich aus elementaren, quasi atomaren, Bestandteilen zusammen, die wir im allgemeinen nicht weiter analysieren. Diese haben — grob gefaßt — etwa den Umfang von Worten — mal etwas länger, mal ein bißchen kürzer. Zum Beispiel sind das Hauptwort „Wasserfall“, der Eigenname „Niagara-Fälle“, das Verbal-Suffix der Vergangenheit „te“, das Verbum „einholen“, und längere idiomatische Redewendungen alle nahe am Atomaren. Es sind typische elementare Pinselstriche, die wir zum Malen von Porträts von komplexeren Vorstellungen brauchen — zum Beispiel die Handlung eines Films, die Atmosphäre einer Stadt, das Wesen des Bewußtseins, usw. Derartige komplexe Vorstellungen sind nicht einzelne Pinselstriche. Es ist wohl vernünftig anzunehmen, daß die sprachlichen Pinselstriche auch die gedanklichen sind, und daß deshalb Symbole Begriffe von ungefähr dieser Größe repräsentieren. So wäre grob gesprochen das Symbol etwas, für das man ein Wort oder eine feststehende Wendung hat oder das man mit einem Eigennamen assoziiert. Die Repräsentation einer komplexeren Idee im Gehirn, wie ein Problem in einer Liebesaffäre, wäre eine sehr komplizierte Folge von Aktivierungen von verschiedenen Symbolen durch andere Symbole.
Klassen und Einzelfälle
    Es gibt hinsichtlich des Denkens eine allgemein gültige Unterscheidung: die zwischen Kategorien und Individuen oder Klassen und Einzelfällen. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, daß ein bestimmtes Symbol seiner Natur nach entweder ein Symbol für eine Klasse oder ein Symbol für einen Einzelfall wäre — aber dies ist eine zu große Vereinfachung. In Wirklichkeit können die meisten Symbole beide Rollen spielen, je nach dem Kontext ihrer Aktivierung. Man betrachte zum Beispiel die nachstehende Liste:
    1) eine Veröffentlichung
    2) eine Zeitung
    3) Die Frankfurter Allgemeine Zeitung
    4) die FAZ-Ausgabe vom 18. Mai
    5) mein Exemplar der FAZ-Ausgabe vom 18. Mai
    6) mein Exemplar der FAZ-Ausgabe vom 18. Mai, wie es war, als ich es zuerst zur Hand nahm (im Gegensatz zu meinem Exemplar, wie es ein paar Tage später war: in meinem Kamin brennend).
    Hier spielen die Zeilen 2 bis 5 beide Rollen. So ist Zeile 4 ein Einzelfall der allgemeinen Klasse von Zelle 3, und Zeile 5 ein Einzelfall von Zeile 4. Zeile 6 ist eine besondere Art von einem Einzelfall einer Klasse: eine Manifestation. Die während der Lebensgeschichte eines Objekts durchlaufenen Stadien sind seine Manifestationen. Eine interessante Überlegung ist die, ob die Kühe auf einem Bauernhof das invariante Individuum wahrnehmen, das all den Manifestationen des fröhlichen Bauern, der sie mit Heu füttert, zugrunde liegt.
Das Prototyp-Prinzip
    Die vorstehende Liste scheint eine Hierarchie der Allgemeingültigkeit zu sein — oben eine sehr weit gefaßte begriffliche Kategorie, zuunterst ein sehr unscheinbares, in Raum und Zeit lokalisiertes Einzelding. Indessen ist die Vorstellung, eine Klasse müsse immer enorm breit und abstrakt sein, viel zu eng. Der Grund hierfür ist, daß unser Denken sich eines sinnreichen Prinzips bedient, das man das Prototyp-Prinzip nennen könnte:
    Das spezifischste Ereignis kann als ein allgemeines
    Muster einer Klasse von Ereignissen dienen.
    Jedermann weiß, daß spezifische Ereignisse eine Lebhaftigkeit besitzen, die sich dem Gedächtnis so stark einprägen, daß sie später als Modelle für andere Ereignisse dienen können, die ihnen irgendwie gleichen. So steckt in jedem spezifischen Ereignis der Keim für eine ganze Klasse ähnlicher Ereignisse. Die Idee, daß im Spezifischen Allgemeinheit liegt, ist von großer Wichtigkeit.
    Nun kann man natürlich fragen: Repräsentieren die Symbole im Gehirn Klassen oder Einzelfälle? Gibt es gewisse

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