Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
einfach irgendwie das „Schnurrbart“-Klassensymbol, ohne neue Einzelfallsymbole zu prägen, wenn wir sie nicht sorgfältig erforschen.
Wenn wir andererseits anfangen, Individuen zu unterscheiden, können wir nicht mehr auf ein einzelnes Klassensymbol abstellen (z. B. „Person“), das sich zur gleichen Zeit über all die verschiedenen Menschen erstreckt. Selbstverständlich müssen für einzelne Personen separate Einzelfallsymbole entstehen. Es wäre lächerlich, sich vorzustellen, daß das durch „Jonglieren“ geschehen könnte, d. h. dadurch, daß das einzelne Klassensymbol zwischen verschiedenen Aktivierungsmodi (einem pro Person) hin und her flitzt.
Zwischen den Extremen muß doch wohl Raum für dazwischenliegende Fälle verschiedenster Art vorhanden sein. Möglicherweise gibt es eine ganze Hierarchie von Methoden, die Unterscheidung zwischen Klasse und Einzelfall im Gehirn vorzunehmen und so Symbole — und Symbolorganisationen — verschiedener Spezifizitätsgrade entstehen zu lassen. Die nachstehenden Arten individueller und gemeinsamer Aktivierung von Symbolen könnten für unsere Vorstellung von verschiedenen Graden der Spezifizität verantwortlich sein:
1)
verschiedene Arten oder Stärken der Aktivierung eines einzelnen Klassensymbols;
2)
gleichzeitige Aktivierung verschiedener Klassensymbole auf irgendeine koordinierte Weise;
3)
Aktivierung eines einzelnen Einzelfallsymbols;
4)
Aktivierung eines einzelnen Einzelfallsymbols in Verbindung mit der Aktivierung verschiedener Klassensymbole;
5)
gleichzeitige Aktivierung verschiedener Einzelfallsymbole und verschiedener Klassensymbole auf irgendeine koordinierte Weise.
Dies führt uns direkt zu der Frage zurück: „Wann ist ein Symbol ein unterscheidbares Teilsystem des Gehirns?“ Man betrachte etwa das zweite Beispiel — die gleichzeitige Aktivierung verschiedener Klassensymbole auf irgendeine koordinierte Weise. Das könnte sich leicht ergeben, wenn „Klaviersonate“ der betreffende Begriff ist (die Symbole für „Klavier“ und „Sonate“ sind mindestens zwei der aktivierten Symbole). Wenn also dieses Symbolpaar oft genug zusammen aktiviert wird, darf man billigerweise annehmen, daß die Verbindung zwischen den beiden stark genug wird, daß sie sichwie eine Einheit verhalten, wenn man sie in der richtigen Weise zusammen aktiviert. Somit können zwei oder noch mehr Symbole unter den richtigen Bedingungen wie eines wirken, und das bedeutet, daß das Problem, die Anzahl von Symbolen im Gehirn aufzuzählen, verzwickter ist, als es den Anschein hatte.
Mitunter können sich Bedingungen ergeben, unter denen zwei vorher nicht miteinander verbundene Symbole gleichzeitig und koordiniert aktiviert werden. Sie passen so gut zueinander, daß sie eine unvermeidliche Einheit zu bilden scheinen, und durch die enge Wechselwirkung der zwei alten Symbole wird ein neues Symbol gebildet. Wenn das geschieht, wäre es richtig zu sagen, daß das neue Symbol „schon immer existierte, aber noch nie aktiviert wurde“ — oder sollte man sagen, es sei „erschaffen“ worden?
Wenn das zu abstrakt klingen sollte, nehmen wir ein konkretes Beispiel: der Dialog Krebs-Kanon. Bei der Erfindung dieses Dialogs mußten zwei bereits existierende Symbole — das für „musikalischer Krebskanon“ und das für verbaler „Dialog“ gleichzeitig aktiviert und irgendwie zur Wechselwirkung gezwungen werden. Wenn das einmal geschehen war, so war der Rest ganz unvermeidlich: ein neues Symbol — ein Klassensymbol — entstand aus der Wechselwirkung dieser beiden, und von da an konnte es selbständig aktiviert werden. War es nun ein immer in meinem Gehirn schlummerndes Symbol? Wenn ja, dann muß es auch ein schlummerndes Symbol im Gehirn jedes Menschen gewesen sein, der über dessen Teilsymbole verfügte, sogar wenn es in ihm nie erweckt wurde. Das würde bedeuten, daß, wollte man die Symbole in einem Gehirn aufzählen, man alle schlummernden Symbole zu zählen hätte — alle möglichen Permutationen und Kombinationen, alle Aktivierungsweisen aller bekannten Symbole. Das würde sogar jene phantastischen Software-Erzeugnisse einschließen, die unser Gehirn erfindet, wenn wir schlafen — die seltsamen Mischungen von Gedanken, die erwachen, wenn ihr Gastgeber einschläft ... Die Existenz solcher „potentieller Symbole“ zeigt, daß es wirklich eine ungeheure Vereinfachung ist, wenn man sich das Gehirn als eine wohldefinierte Kollektion von Symbolen in wohldefinierten
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