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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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Wolkenzähler und die meisten von uns brauchen sich also über das Auftauchen übernatürlicher Zahlen keine Sorgen zu machen; sie beeinflussen unsere normale Wahrnehmung nicht im geringsten. Die einzigen Menschen, die tatsächlich etwas besorgt sein könnten, sind diejenigen, die in irgendeiner entscheidenden Weise von dem Wesen der unendlichen Gebilde abhängen. Es gibt nicht allzuviele, aber mathematischeLogiker gehören in diese Kategorie. Wie kann die Existenz einer Verästelung in der Zahlentheorie sie berühren? Nun, die Zahlentheorie spielt in der Logik zwei Rollen: 1) wenn axiomisiert, ist sie ein Forschungsgegenstand und 2) wenn informal gebraucht, ein unentbehrliches Werkzeug zur Erforschung formaler Systeme. Das ist noch einmal der Unterschied zwischen Gebrauch und Erwähnung; in der ersten Rolle wird die Zahlentheorie erwähnt, in der zweiten verwendet.
    Nun haben die Mathematiker bestimmt, daß die Zahlentheorie für das Studium formaler Systeme, wenn auch nicht für die Zählung von Wolken, anwendbar ist, genau wie Bankiers zum Urteil gekommen sind, daß die Arithmetik der reellen Zahlen auf ihre Transaktionen anwendbar ist. Das ist ein extramathematisches Urteil und zeigt, daß die gedanklichen Prozesse, die in der mathematischen Arbeit nötig sind, genau wie die anderen Bereiche „verwickelte Hierarchien“ brauchen, in denen Gedanken auf einer Ebene die auf einer anderen Ebene beeinflussen können. Die Ebenen sind nicht säuberlich getrennt, wie die formalistische Definition dessen, was die Mathematik ist, einen glauben machen möchte.
    Die formalistische Philosophie behauptet, daß sich die Mathematiker nur mit abstrakten Symbolen beschäftigen und daß es ihnen völlig gleichgültig ist, ob die Symbole sich in irgendeiner Weise auf die Wirklichkeit beziehen. Das aber ist eine völlig verzerrte Ansicht. Dies zeigt sich nirgends klarer als in der Metamathematik. Wenn die Zahlentheorie selbst als ein Hilfsmittel zum Gewinn faktischen Wissens über formale Systeme verwendet wird, dann geben Mathematiker stillschweigend ihren Glauben zu erkennen, daß die ätherischen Gebilde namens „natürliche Zahlen“ tatsächlich ein Teil der Wirklichkeit und nicht einfach Erfindungen sind. Das ist der Grund, warum ich weiter oben beiläufig erwähnte: daß es in einem gewissen Sinn eine Antwort auf die Frage gibt, welche Version der Zahlentheorie „wahr“ ist. Das ist des Pudels Kern: mathematische Logiker müssen auswählen, welcher Version der Zahlentheorie sie vertrauen wollen. Insbesondere können sie angesichts der Frage nach der Existenz oder Nicht-Existenz der übernatürlichen Zahlen nicht neutral bleiben, denn die beiden verschiedenen Theorien können auf metamathematische Fragen verschiedene Antworten geben.
    Nehmen wir zum Beispiel die Frage: „Läßt sich ~G in TNT in endlicher Weise ableiten?“ Die Antwort kennt niemand. Trotzdem würden die meisten mathematischen Logiker ohne Zögern mit „nein“ antworten. Die Intuition, die diese Antwort hervorruft, fußt auf der Tatsache, daß wenn ~G ein S ATZ wäre, TNT ω-widerspruchsvoll wäre, und das würde uns zwingen, die übernatürlichen Zahlen zu schlucken, wenn wir TNT sinnvoll interpretieren wollten — für die meisten Menschen ein keineswegs schmackhafter Gedanke. Schließlich beabsichtigten oder erwarteten wir nicht, daß übernatürliche Zahlen ein Teil von TNT seien, als wir es erfanden. Das heißt, wir oder doch die meisten von uns — glauben, es sei möglich, eine Formalisierung der Zahlentheorie vorzunehmen, die uns nicht zum Glauben zwingt, daß übernatürliche Zahlen genau so wirklich sind wie die natürlichen. Es ist diese Anschauung der Wirklichkeit, die bestimmt, auf welchen „Ast“ der Zahlentheorie die Mathematiker ihre Hoffnung setzen, wenn die Kugel rollt. Aber dieser Glaube kann falsch sein. Vielleicht impliziert jede von Menschen erfundene widerspruchsfreie Formalisierung der Zahlentheoriedie Existenz übernatürlicher Zahlen, da sie ω-widerspruchsvoll ist. Ein merkwürdiger Gedanke, aber vorstellbar.
    Wäre das der Fall — was ich bezweifle, aber ein Gegenbeweis liegt nicht vor —, dann brauchte G nicht unentscheidbar zu sein. Es könnte tatsächlich überhaupt keine unentscheidbaren TNT-Formeln geben, sondern einfach eine nicht verästelte Zahlentheorie — die notwendigerweise übernatürliche Zahlen einschlösse. Das ist nicht gerade das, was mathematische Logiker erwarten, aber doch etwas, das man nicht von

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