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Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band

Titel: Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas R. Hofstadter
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Aktivierungsmodi. Um diese Vorstellung der Fusion oder „symbolischen Rekombination“ etwas detaillierter zu illustrieren, möchte ich die Entwicklung meines Krebs-Kanons als Fallstudie verwenden, weil er mir natürlich sehr vertraut ist und auch weil er interessant ist und typisch dafür, wie weit man eine einzelne Idee treiben kann. Ich will sie in Stufen vortragen, die nach denen der Meiose benannt sind, dem Namen für Zellteilung, bei der „crossing-over“ oder genetische Rekombination stattfindet, der Beginn aller Vielfalt im Lauf der Evolution.
    P ROPHASE : Ich begann mit einer ziemlich einfachen Idee — daß ein Musikstück, zum Beispiel ein Kanon, mit sprachlichen Mitteln nachgeahmt werden könne. Das ergab sich aus der Beobachtung, daß eine Textpassage und eine musikalische Passage durch eine gemeinsame abstrakte Form verbunden sein können. Der nächste Schritt brachte den Versuch mit sich, etwas von den Möglichkeiten dieser vagen Ahnung zu realisieren; hier verfiel ich auf die Idee, daß „Stimmen“ im Kanon auf „Personen“ in Dialogen abgebildet werden können, auch das noch eine ziemlich auf der Hand liegende Idee.
    Dann konzentrierte ich mich auf besondere Arten von Kanons, und erinnerte mich, daß sich im Musikalischen Opfer ein Krebskanon findet. Damals hatte ich eben erst damit begonnen, Dialoge zu schreiben, und es gab nur zwei Individuen: Achilles und Herrn Schildkröte. Da Bachs Krebskanon zweistimmig ist, war die Abbildung perfekt: Achilles sollte die eine Stimme sein, Herr Schildkröte die andere, wobei die eine das nach vorne tat, was die andere rückwärts tat. Hier jedoch stieß ich auf ein Problem: auf welcher Ebene sollte die Umkehrung stattfinden? Der der Buchstaben? Der der Wörter? Der der Sätze? Nach einigem Nachdenken kam ich zum Schluß, daß die Ebene der „dramatischen Linie“ am besten dazu geeignet sei.
    Nachdem nunmehr das „Skelett“ von Bachs Krebskanon zumindest gedanklich in eine verbale Form übertragen worden war, gab es noch ein Problem. Wenn die zwei Stimmen sich in der Mitte kreuzten, würde sich eine kurze Periode extremer Wiederholung ergeben — ein häßliches Makel. Was tun? Hier geschah etwas Seltsames, eine Art von Durchkreuzung der Ebenen, wie sie für schöpferische Akte typisch ist: Das Wort „Krebs“ in „Krebskanon“ zuckte durch meinen Kopf, ohne Zweifel wegen irgendeiner abstrakten Eigenschaft, die es mit dem Begriff „Schildkröte“ gemeinsam hatte und ich erkannte sofort, daß ich den Wiederholungseffekt am toten Mittelpunkt blockieren konnte, indem ich eine besondere Zeile, gesprochen von einem neuen Wesen, einem Krebs, einfügte! Auf diese Weise wurde in der „Prophase“ des Krebs-Kanons der Krebs erfunden: Beim „crossing-over“ von Achilles und Herrn Schildkröte (Abb. 131).

    Abb. 131 . Ein schematisches Diagramm des Dialogs Krebs-Kanon.
    M ETAPHASE : Das war das Skelett meines Krebs-Kanons. Darauf kam ich zur zweiten Phase (der „Metaphase“), in der ich dem Skelett Fleisch geben mußte, was natürlich eine mühsame Arbeit war. Ich machte viele Versuche und gewöhnte mich daran, wie Paare von aufeinanderfolgenden Zeilen einen Sinn ergeben mußten, wenn man sie von vorn oder von hinten las, und herumzuexperimentieren, um zu sehen, welche Art von Doppelbedeutungen mir bei der Niederschrift einer solchen Form behilflich sein könnten (z. B. „wird nicht gestrichen“). Es gab zwei frühere Versionen — beide interessant, aber schwach. Über ein Jahr lang arbeitete ich nicht mehr am Buch, und als ich zum Krebs-Kanon zurückkehrte, hatte ich einige neue Ideen. Eine davon war die, einen Bach-Kanon in ihm zu erwähnen. Zuerst plante ich, den „Canon per augmentationem contrario motu“ aus dem Musikalischen Opfer (dem Ai-Kanon, wie ich ihn nenne) zu erwähnen. Das sah aber doch etwas einfältig aus; deshalb entschied ich mich widerstrebend, statt dessen in meinem Krebs-Kanon über Bachs eigenen Krebskanon zu sprechen. Das war tatsächlich der entscheidende Wendepunkt; nur wußte ich das damals noch nicht.
    Wenn nun einer der Sprecher im Dialog ein Stück von Bach erwähnen würde, wäre es dann nicht unbefriedigend, wenn der andere an der entsprechenden Stelle dasselbe sagen würde? Nun, Escher spielte in meinen Gedanken und in meinem Buch dieselbe Rolle wie Bach — war es also nicht möglich, das Ganze etwas zu modifizieren, so daß es sich auf Escher beziehen würde? Schließlich gibt man in der Kunst des Kanons die

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