Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
vollkommene Imitation gelegentlich zugunsten von Eleganz oder Schönheit auf. Und kaum war mir das eingefallen, als mir Tag und Nacht ( Abb. 49 ) in den Sinn kam. „Natürlich“, dachte ich, „es ist eine Art graphischer Krebs-Kanon mit — im wesentlichen — zwei Komplementärstimmen, die das gleiche Thema sowohl nach rechts wie nach links tragen und miteinander harmonisieren.“ Hier war wieder die Vorstellung eines einzigen „Begriffsskeletts“, das in zwei Erscheinungsweisen auftritt, in dem Fall der Musik und der bildenden Kunst. Ich ließ also Herrn Schildkröte über Bach und Achilles über Escher in paralleler Sprache reden. Gewiß behält diese leichte Abweichung von einer genauen Nachahmung den Geist von Krebskanons bei.
An diesem Punkt fiel mir auf, daß etwas Wunderbares geschah: Der Dialog wurde selbstbezüglich, ohne daß ich das auch nur beabsichtigt hätte. Ja, es war sogar eine indirekte Selbstbezüglichkeit, da die Teilnehmer nicht direkt über den Dialog sprachen, in dem sie sich befanden, sondern über Strukturen, die diesem isomorph waren (auf einer bestimmten Abstraktionsebene). Um es in den Begriffen zu sagen, die ich verwendet habe: Mein Dialog hatte ein „Begriffsskelett“ genau wie Gödels G und konnte deshalb auf G abgebildet werden, etwa so, wie das Zentraldogma abgebildet wurde, um in diesem Fall eine „Abbildung des Zentralkrebses“ zu erschaffen. Für michwar das sehr aufregend, denn aus dem Nichts hatte sich eine ästhetische Einheit von Gödel, Escher und Bach ergeben.
A NAPHASE : Der nächste Schritt war recht verblüffend. Ich besaß Caroline MacGillavrys Monographie über Eschers Flächenfüllungen seit Jahren. Beim Durchblättern blieb mein Blick auf Blatt 23 ( Abb. 42 ) haften, denn ich sah es auf eine Art, wie ich es noch nie gesehen hatte: Dies hier war ein wirklicher Krebskanon, krebsartig der Form und dem Inhalt nach. Escher selbst hat dieses Bild nicht betitelt, und da er viele ähnliche Flächenfüllungen mit vielen anderen Tierformen bezeichnet hatte, ist es wahrscheinlich, daß die Koinzidenz von Form und Inhalt etwas war, das nur mir auffiel. Nun, Zufall oder nicht: dieses Blatt war eine Miniaturversion einer der Hauptideen in meinem Buch: die Vereinigung von Form und Inhalt. Hocherfreut taufte ich das Blatt Krebskanon, setzte es an die Stelle von Tag und Nacht und modifizierte demgemäß die Bemerkungen von Achilles und Herrn Schildkröte.
Das war aber noch nicht alles. Da ich mich in die Molekularbiologie vernarrt hatte, durchblätterte ich eines Tages in einer Buchhandlung das Buch von Watson, und im Register stieß ich auf das Wort „Palindrom“. Beim Nachschlagen fand ich etwas geradezu Magisches: krebskanonische Strukturen in DNS. Bald waren auch Herrn Krebs' Kommentare in angemessener Weise modifiziert und enthielten nun eine kurze Bemerkung, daß er seine Vorliebe für die Verwechslung von vorwärts und rückwärts seinen Genen verdanke.
T ELOPHASE : Der nächste Schritt kam einige Monate später, als ich über das Bild der krebskanonischen Sektion von DNS ( Abb. 43 ) sprach und dabei sah, daß das „A“, „T“ und „C“ von Adenin, Thymin, Cytosin — mirabile dictu — mit den „A“, „T“ und „C“ von Achilles, Theo Schildkröte und Carl Krebs übereinstimmte, ja sogar, daß Adenin und Thymin in DNS gepaart sind wie auch Achilles und Theo in unserem Dialog. Ich dachte einen Augenblick nach, und in einer anderen dieser Paarungen erkannte ich, daß „G“, der mit „C“ in DNS gepaarte Buchstabe, für „Gen“ stehen könnte. Wiederum stürzte ich zurück zum Dialog, nahm ein paar kleine Eingriffe in die Aussagen von Carl Krebs vor, um diese neue Entdeckung widerzuspiegeln, und nun hatte ich eine Abbildung der DNS-Struktur und der Struktur des Dialogs. In diesem Sinn könnte man sagen, daß DNS ein Genotyp ist, der einen Phänotyp codiert: die Struktur des Dialogs. Dieses letzte Tüpfelchen auf dem i verstärkte die Selbstbezüglichkeit auf dramatische Weise und gab dem Dialog eine Bedeutungsdichte, die ich nie geahnt hatte.
Begriffsskelette und Begriffsabbildungen
Das faßt mehr oder weniger die Epigenese des Krebs-Kanons zusammen. Der ganze Vorgang kann als eine Folge von Abbildungen von Ideen aufeinander betrachtet werden — auf verschiedenen Abstraktionsstufen. Das nenne ich begriffliches Abbilden, und die abstrakten Strukturen, die zwei verschiedene Ideen vertreten, sind begriffliche Skelette. So ist ein begriffliches
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