Gödel, Escher, Bach - ein Endloses Geflochtenes Band
daß die zum Verständnis der Handlung nötigen Gehirnprozesse ungeheuer komplex sind, da nur die schwarzen Zeichen auf dem Papier vorgegeben sind. Dennoch wollen wir die Geschehnisse in der Geschichte als die explizite Bedeutung dieses Dialogs auffassen und annehmen, daß jeder, der Deutsch lesen kann, mehr oder minder die gleichen „Isomorphien“ verwendet, um aus den Markierungen auf dem Papier diese Bedeutung herauszusaugen.
Doch möchte ich mich über die explizite Bedeutung der Geschichte etwas expliziter äußern. Zuerst will ich von den Grammophonen und Schallplatten sprechen. Der wichtigste Punkt ist der, daß es für die Rillen auf den Platten zwei Bedeutungsebenen gibt. Ebene Eins ist die der Musik. Was aber ist „Musik“ — eine Folge von Schwingungen in der Luft, oder eine Folge von gefühlsmäßigen Reaktionen im Gehirn? Sie ist beides. Bevor es jedoch zu Gefühlsreaktionen kommen kann, müssen Schwingungen da sein. Nun wurden die Schwingungen aus den Rillen durch einen Plattenspieler, ein vergleichsweise einfaches Gerät, „herausgeholt“, man kann das ja sogar mit einer Stecknadel tun, indem man sie durch die Rillen zieht. Nach diesem Stadium verwandelt das Ohr die Schwingungen in Impulse von Gehörsneuronen im Gehirn. Darauf folgen verschiedene Phasen im Gehirn, die allmählich die lineare Folge der Schwingungen in ein komplexes Muster von gegenseitig aufeinander einwirkenden Gefühlsreaktionen verwandeln — viel zu kompliziert, als daß wir darauf eingehen könnten, so gerne ich das täte. Begnügen wir uns also damit, die Töne in der Luft als Bedeutung auf „Ebene Eins“ der Rillen zu betrachten.
Was ist die Bedeutung der Rillen auf Ebene Zwei? Sie ist die Folge der im Plattenspieler induzierten Schwingungen. Diese Bedeutung kann nur entstehen, nachdem die Bedeutung auf Ebene Eins aus den Rillen herausgezogen ist, da die Schwingungen in der Luft die Schwingungen im Grammophon verursachen. Deshalb hängt die Bedeutung auf Ebene Zwei von einer Kette von zwei Isomorphien ab:
1)
Isomorphie zwischen beliebigen Rillenmustern und Luftschwingungen.
2)
Isomorphie zwischen beliebigen Luftschwingungen und Schwingungen des Grammophons.
Diese Kette von zwei Isomorphien ist in Abbildung 20 dargestellt. Man beachte, daß Isomorphie 1 diejenige ist, die die Bedeutung auf Ebene Eins entstehen läßt. Die Bedeutung auf Ebene Zwei ist in größerem Maße implizit als die auf Ebene Eins, weil sie durch eine Kette von zwei Isomorphien vermittelt wird. Es ist die Bedeutung auf Ebene Zwei, bei der „der Schuß nach hinten losgeht“ und die bewirkt, daß der Plattenspieler zerspringt. Interessant ist, daß die Herstellung der Bedeutung auf Ebene Eins gleichzeitig die Erzeugung der Bedeutung auf Ebene Zwei erzwingt — Ebene Eins ist nicht ohne Ebene Zwei zu haben. Es war also die implizite Bedeutung der Platte, die sich gegen sie kehrte und sie zerstörte.
Ähnliches gilt für das Kelchglas. Ein Unterschied liegt darin, daß das Abbilden von Buchstaben des Alphabets auf musikalische Noten noch eine weitere Isomorphie-Ebene bildet, die wir „Transkription“ nennen könnten. Darauf folgt die „Translation“ — die Umwandlung von Musiknoten in musikalische Töne. Danach wirken die Schwingungen zurück auf das Glas, genauso wie auf die eskalierende Reihe der Grammophone.
Abb. 20 . Bildliche Darstellung des dem Gödelsatz zugrundeliegenden Prinzips: zwei gegenseitige Abbildungen, die einen unerwarteten Bumerang-Effekt haben. Die erste ist die vom Rillenmuster auf Töne, vom Grammophon ausgeführt. Die zweite bekannt, aber im allgemeinen ignoriert — ist die von Tönen auf Schwingungen des Grammophons. Man beachte, daß die zweite von der ersten unabhängig ist, denn jeder Ton in der näheren Umgebung, nicht nur die vom Grammophon erzeugten, wird solche Schwingungen verursachen. Die Paraphrase von Gödels Satz besagt, daß es für jedes Grammophon Platten gibt, die es nicht spielen kann, weil sie seine indirekte Selbstzerstörung verursachen kann. [Zeichnung des Autors.]
Implizite Bedeutungen des Contrakrostipunktus
Wie steht es mit den impliziten Bedeutungen des Dialogs? (Ja, er besitzt mehr als eine!) Auf die einfachste haben wir bereits in den vorhergehenden Abschnitten hingewiesen — nämlich daß die Geschehnisse in den beiden Dialoghälften, grob gesprochen, zueinander isomorph sind: Das Grammophon wird zur Geige, Herr Schildkröte wird zu Achilles, Herr Krebs wird zur Schildkröte, die Rillen
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