Göring: Eine Karriere (German Edition)
Sachen und tat so, als ob er Fallschirme verkaufte, obgleich er nie einen einzigen an den Mann brachte«, behauptete nach dem Krieg sein späterer Intimus Erhard Milch.
Alles in allem sah die Bilanz dieser zwanziger Jahre miserabel aus. Das einstige stolze Fliegerass hatte nicht mehr viel vorzuweisen. Göring war süchtig, aufgedunsen, ein körperliches Wrack. Seine Frau war krank und lebte fern von ihm. Die Geschäfte liefen schlecht, und seine Hoffnungen auf ein politisches Comeback waren allenfalls diffus. Er war ganz unten.
Umso erstaunlicher ist der politische Senkrechtstart, der Göring nun gelang. Binnen fünf Jahren avancierte der abgestürzte Kriegsheld, den alle schon abgeschrieben hatten, zum zweitmächtigsten Mann im Staat. Der Ausgangspunkt für diese Jahrhundertkarriere war ein erneutes Gespräch mit Hitler. Im Januar 1928 suchte Göring ihn abermals in München auf und forderte, als einer der Spitzenkandidaten der inzwischen neu gegründeten NSDAP bei der bevorstehenden Reichstagswahl aufgestellt zu werden, und zur Überraschung vieler erhielt er seinen Willen. Hitlers innerparteilicher Gegner Otto Strasser behauptete später, Göring habe Hitler mit der Drohung erpresst, die Partei ansonsten auf Schadensersatz zu verklagen für seine zahlreichen Zuwendungen in den Monaten vor dem fehlgeschlagenen Putschversuch. Auch wenn diese Zuwendungen in der Tat durch Briefe Görings belegt sind, so ist doch zweifelhaft, ob Hitler sich für die inzwischen neu gegründete NSDAP Sorgen um irgendwelche Regressansprüche machte. Immerhin mag er einen Prestigeverlust befürchtet haben, wenn ein ehemaliger Kriegsheld und Mitverschwörer gegen ihn prozessierte. Ausschlaggebend und für die künftige Karriere Görings bestimmend waren jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit andere Überlegungen: Görings Wahl passt in das Vorhaben Hitlers, den linken Flügel der Partei um die Brüder Strasser in Schach zu halten. Ihre Parteigänger, darunter der ehrgeizige junge Gauleiter von Berlin, Joseph Goebbels, wetterten gegen den Kapitalismus und liebäugelten mit einer Annährung an das sozialistische Russland. Indem er Göring einen sicheren Listenplatz verschaffte, stellte Hitler den linksrevolutionären Parteitheoretikern im Reichstag ein nationalkonservatives Gegengewicht an die Seite. Auch mögen ihm Görings Auftreten und dessen nach wie vor vorhandene Kontakte zur besseren Gesellschaft imponiert haben. Immer noch fehlte es der Partei an Männern, die nicht nur in Bierkellern und auf der Straße, sondern auch in den Salons eine gute Figur machten.
Oben: »Verbindung zur NS-Bewegung fast gänzlich abgerissen«: Als Hitler im Februar 1925 die NSDAP neu gründete, war Göring nicht einmal mehr Mitglied der Partei
Unten: Hitler nach einer NSDAP-Versammlung am 1. Mai 1927 in Berlin. Noch spielte Göring in seinen Plänen keine Rolle
Ungeduldig fieberte Göring der Wahl zum neuen Reichstag am 20. Mai 1928 entgegen. Siegesgewiss hatte er die kränkelnde Carin aus Schweden zu sich gerufen, um mit ihr gemeinsam den Triumph zu feiern. Er täuschte sich nicht. Zwar kam die NSDAP nur auf 2,6 Prozent der Stimmen und damit auf den neunten Platz unter den zahlreichen Parteien des Reichstages, aber es genügte. Da die Weimarer Verfassung keine Sperrklausel vorsah, die Splitterparteien den Einzug in den Reichstag verwehrte, war Göring einer von zwölf Abgeordneten, die die NSDAP in das neu gewählte Parlament entsandte. Selbst für die Kollegen in der Fraktion war der Neuzugang ein weithin unbeschriebenes Blatt, da er nicht über die Parteischiene, sondern durch unmittelbare Protektion Hitlers ins Parlament gelangt war. Als der neue Reichstag am 13. Juni zum ersten Mal zusammentrat, würdigte Joseph Goebbels in seinem Tagebuch den neuen Fraktionskollegen Göring nur mit knappen, kaum schmeichelhaften Worten: »Neue Gesichter:...Göring. Fliegerhauptmann. Etwas gedunsen.« Besonders angetan war er nicht vom neuen Mitstreiter.
Für Göring bedeutete der Sitz im Reichstag das Ende der dunklen Jahre, die mit dem gescheiterten Hitlerputsch begonnen hatten. Mit einem Schlag errang er eine neue Stellung und mit ihr zum ersten Mal wieder ein gesichertes Einkommen. Als Abgeordneter verdiente er jetzt 500 Mark im Monat, dazu kamen 800 Mark als Reichsredner der NSDAP. »Nun können wir endlich anfangen, alle unsere alten Schulden usw. zu bezahlen, die uns so bedrückt haben«, schrieb seine Frau erleichtert. Ihr Mann aber dachte
Weitere Kostenlose Bücher