Gößling, Andreas
es zum Leben erwachen wollte.
»Es gibt ein Telefon in der Bibliothek«, sagte der Türsteher. »Warte, ich zeige dir alles.«
Marian nickte. Der alte Mann lief so behände die Treppe hinauf, dass Marian Mühe hatte, ihm zu folgen. Oben gab es wieder einen dunklen Flur, aber auch den ließen sie links liegen: Rechterhand befand sich eine zweiflügelige Tür, gleichfalls schwarz lackiert wie der alte Cadillac oder wie Marthelms Sarg.
Der Bruder Türsteher nestelte neuerlich seinen Schlüsselbund hervor. Mit leisem Stöhnen ließ sich das Schloss öffnen – anscheinend war es längere Zeit nicht benutzt worden. Als Torgas die Tür aufstieß, kam es Marian vor, als ob dort drinnen ein geflügelter Schatten durch den Raum flöge.
Der Freimaurer drehte das Licht an. Ein weiter Saal, die Wände bedeckt mit Regalen voll uralter Bücher. Wie sollte er hier irgendwas finden? Er wusste ja nicht mal, wonach er suchen sollte – geschweige denn, in welchen dieser drei- oder fünftausend alten Schwarten. Und die Brüder Freimaurer durfte er nicht fragen, davor hatte Marthelm ihn eindringlich gewarnt.
»Hinten am Fenster findest du ein Pult und einen bequemen Lesesessel«, sagte Torgas. »Und direkt daneben hängt ein Telefon an der Wand. Wenn du weg willst, heb einfach ab und frage nach Torgas.« Er deutete ein Lächeln an und nickte Marian zu. »Und nun viel Glück. Dein Onkel hat oftmals ganze Tage über diesen Büchern verbracht.«
Urgroßonkel, dachte Marian.
Dann war er allein. In der Bibliothek war es so düster, als ob draußen bereits der Abend dämmerte. Dabei war es höchstens zwei Uhr nachmittags. Torgas hatte die Deckenlampe eingeschaltet, aber die dunklen Lederrücken der vielen Bücher schienen das Licht aufzusaugen. Selbst die Sonnenstrahlen, die durch das schmale Fenster über dem Lesepult sickerten, wirkten matt und kraftlos.
Unschlüssig strich Marian an den Buchreihen entlang. »Das Mysterium der ewigen Jugend … Schattengeister und Planeten … Das Arkanum der Unsterblichkeit …« Er murmelte die Titel vor sich hin, konnte sich aber nicht entschließen, eine der Lederschwarten herauszuziehen. Endlich griff er sich fast wahllos einige Bücher heraus und schleppte sie in die hintere Saalecke. Dort hing tatsächlich eine Art Telefon neben dem Pult an der Wand. Ein schwarzer Koloss mit Wählscheibe und einem Hörer vom Umfang eines Mammutknochens.
Das Pult war aus schwarzem Holz gezimmert und mit kunstvollen Einlegearbeiten in verschiedenen Gelb- und Goldtönen versehen. Pentagramm, Zirkel und Winkelmaß: Freimaurersymbole. Doch auch Feuer speiende Drachen und eine Art Dämonen, die mit Planeten und Sternen Ball zu spielen schienen, entdeckte Marian in den Intarsien und Schnitzereien.
Er begann in dem ersten Schmöker zu lesen : Die Weisheit des Adepten. Das Buch war in einem altert ümlichen Deutsch verfasst, und Marian gestand sich nach wenigen Sätzen ein, dass er nicht das Geringste verstand . »Binde den Leichnam, gieße von dem Geist hinzu, bis der Adler gen Osten entweicht.« Er gab es auf und zog die nächste Schwarte heran, aber mit der erging es ihm noch schlimmer. Rezepturen mit unbegreiflichen Abkürzungen folgten auf geheimnisvolle Abbildungen, die wiederum durch Texte auf Lateinisch oder durch altdeutsche Rätselsprüche erläutert wurden.
Nachdem er es noch mit zwei weiteren Büchern probiert hatte, ließ er es seufzend sein. Er hatte Staub in der Nase und ein Sausen im Kopf, aber der Weisheit des Adepten war er um keinen Schritt näher ge kommen. Und was es mit dem »Geheimnis der G*L*M« auf sich hatte, das er laut Marth elm enträtseln sollte, wusste er weniger denn je. Schon diese Sternchen zwischen den Buchstaben waren ziemlich seltsam. Vage erinnerte sich Marian, das er irgendwann mal gelesen hatte, die jüdischen Magier – die Kabbalisten – hätten anstelle von Vokalen immer nur solche Sternchen geschrieben. Aber aus welchem Grund, das bekam er jetzt nicht richtig auf die Reihe – vielleicht, weil sie geglaubt hatten, dass die Wörter sich in Zauberformeln verwandelten, wenn Selbst- und Mitlaute in der richtigen Reihenfolge zusammenkamen. So ähnlich, wie er es im Chemieunterricht mal gelernt hatte: Man kippte zwei Flüssigkeiten zusammen, die jede für sich vollkommen harmlos waren – und das Ergebnis war ein mörderischer Sprengstoff.
Wenn das hier der »Pfad« ist, dachte er, auf den Marthelm mich führen will, dann jedenfalls gute Nacht. Wie soll ich denn irgendwen vor
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