Gößling, Andreas
nächsten Tagen einfach mal im Logenhaus vorbei?«
12
Gleich am folgenden Tag kehrte Marian zum Logenhaus zurück. Nach dem Mittagessen hatte Linda verkündet, dass sie sich ein wenig hinlegen würde, da sie letzte Nacht kaum geschlafen hatte. Eigentlich hätte Marian genauso müde sein müssen, denn auch er hatte wieder kaum ein Auge zugekriegt. Er hatte das Talmibro stundenlang umkreist, in seinem Zimmer, in Grübeleien und wirren Wachträumen. Bisher hatte er sich nicht dazu durchringen können, das seltsame Ding noch mal auseinanderzuziehen. Immer klarer spürte er die Gefahr, die von dem magischen Instrument, der künstlichen Kreatur – oder was es auch sein mochte – ausging. Wenn er sich erst einmal darauf einlassen würde, gäbe es kein Zurück mehr.
Jetzt fühlte er sich ungefähr wie ein Schlafwandler – sein Kopf wie in Watte gehüllt und gleichzeitig überwach. In seiner Hosentasche das Talmibro, dessen elastische Härte er durch den Jeansstoff hindurch spürte. »Ich lauf ein bisschen rum«, sagte er.
Linda grinste komplizenhaft. »Viel Spaß.«
Aber bei dem, was er jetzt vorhatte, konnte er weder Mütter noch Mädels gebrauchen. Nicht einmal die Kupferblonde mit den extrablauen Augen.
Wieder drückte er auf die Klingel am Logentor. Der dunkle Koloss des Gutshauses schien mit dem Wald dahinter zu einer einzigen schwarzen Masse verschmolzen.
Die Luke ging auf. Derselbe Bruder Türsteher wie gestern, beschwingten Schrittes. Er trat ans Tor, schaute nach links und rechts, um sich zu vergewissern, dass Ma rian diesmal allein gekommen war. Dann zückte er sei nen Schlüsselbund, den er an einer goldenen Kette in der Anzugweste trug. »Komm herein.« Er zog einen Torflügel auf und trat zur Seite, um Marian vorbeizulassen. »Dein Onkel hat vorausgesagt, dass du kommen würdest.«
»Urgroßonkel«, sagte Marian. Der Bruder Türsteher schaute ihn mit einem höflichen Lächeln an. »Marthelm war hundert Jahre älter als ich«, fügte Marian hinzu, da der alte Mann nicht zu verstehen schien.
Doch es half nichts, so wenig wie bei Hanno Bußnitz. Diese alten Männer schienen allesamt ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein. »Mein Name ist Torgas«, sagte der Türsteher nur. »Ich gehe voraus.«
Marian folgte ihm über den knirschenden Kiesweg zum ehemals Hegendahl’schen Gutshaus. Mit jedem Schritt schien das Rauschen des Bannwaldes, das Knarren der Bäume hinter dem Haus lauter zu werden. Aus der Nähe kam ihm die Türluke in der dunklen Fassade noch schmaler vor. Torgas zog sie auf und ließ wiederum Marian den Vortritt. Als er die Tür hinter ihnen schloss, wurde es so finster wie im Grab.
»Ich mache Licht«, sagte Torgas. Marian hörte es rascheln und kratzen. Irgendwo tiefer im Haus erklangen dumpfe Anrufungen oder Sprechgesänge. Mit leisem Klicken ging endlich ein trübes Deckenlicht an, und er erkannte, dass sie sich in einer geräumigen Vorhalle befanden.
Sessel und Sofas mit durchgesessenen schwarzen Le derpolstern waren zu präzisen Rechtecken angeordnet. Ein dunkler Flur linker Hand musste in die hinteren Räume des Erdgeschosses führen. Vor der Rückwand der Halle schraubte sich eine Holztreppe nach oben. Die Stufen sahen abgetreten aus und auch die Teppiche auf dem groben Dielenboden wirkten vom Zahn der Zeit zernagt. An den Wänden hingen Ölgemälde in exakter Reihe nebeneinander, doch auch sie waren vom Alter so verdunkelt, dass nur noch schwarze Quadrate in goldenen Rahmen zu erkennen waren. Eine düstere Pracht ging von dieser Halle aus – und wieder empfand Marian jenes wil de Bedauern, weil er Marthelm zu dessen Lebzeiten niemals kennengelernt hatte.
»Ich bringe dich in die Bibliothek«, sagte Torgas. Er ging auf die Wendeltreppe zu und Marian folgte ihm. Am Fuß der Treppe blieb der alte Mann erneut stehen. Unter gerunzelten Brauen sah er Marian streng an. »Du musst mir versprechen, dass du in der Bibliothek bleibst, bis ich dich dort abhole und wieder nach draußen bringe. Du darfst dich nicht allein im Haus bewegen, verstehst du?«
»Und wenn ich vorher weg will?«
Die Augen des alten Mannes huschten unruhig umher. Marian folgte ihnen und sein Blick blieb an einer absurd kleinen Tür unter der Treppenkehre haften. Sie schien höchstens einen Meter hoch. Wer dort hindurch wollte, musste sich tief ducken oder am besten gleich kriechen.
Plötzlich wurde ihm doch wieder mulmig. Er tastete nach dem Talmibro. Ein Zucken schien das seltsame Ding zu durchlaufen, so als ob
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