Gößling, Andreas
Geburtstag hatt e sie ihm den Riemen überreicht und dazu tief errötend gewispert: »Die gleichen Anfangsbuchstaben, sieht Er’s, Julian Hallthau? Das kömmt nur daher, dass Gott unsere Hände ineinanderlegt.«
»Aha«, brummte Bardo. »Und wer ist also der dreiste Kerl?«
»Das weiß ich auch nicht – der Meister hat nur gesagt, dass wir den Burschen leicht ergreifen können. Aber was viel interessanter ist, Bruder …« Benno dämpfte seine Stimme zu einem Winseln. »… morgen zur Mitternacht gehen wir mit dem Meister hinaus in den Bannwald.«
»Ins Hexenholz? Oho!« Selbst Bardo klang eine Spur beunruhigt.
»Sogar zum Drachenmaul«, flüsterte Benno. »Heute waren wir fast am Ziel, sagt der Meister. Vom Pfortenglas ist glücklicherweise eine größere Scherbe heil geblieben. Und mit dem Lehm vom Hexenhügel wird die Beschwörung endgültig glücken.«
Sein Bruder brummte noch etwas, doch zu verstehen war nichts mehr. Die beiden Schmiede verließen den Hinterhof und nur Augenblicke später waren ihre Schritte verklungen.
Aber der Famulus blieb am Fuß der Mauer hocken, als ob er am Moosboden festgewachsen wäre. Steh endlich auf!, feuerte ihn Marian an. Doch Julian achtete nicht auf seine innere Stimme. Der Großmächtige Meister weiß, dass ich ihn beobachtet habe, dachte er nur ein ums andere Mal. Er hat das Riemchen gefunden und jetzt ist es mit mir aus und vorbei. Bestimmt hat er schon seine Leute ausgeschickt, damit die mich vor der Tür des Apothekers abfangen, wenn ich nach Hause komme. Und dann werfen sie mich ins Verlies unter dem Hegendahl’schen Gutshaus – wenn mir der Meister nicht gleich einen Dä mon hinterherhetzt, damit der mir den Hals umdreht! Oh gütiger Gott, ich bin verloren!
Lange Zeit hockte er so im Dunkeln, die Knie an die Brust gezogen, das Gesicht in den Händen vergraben. Weder hörte er das Knarren und Heulen im Hexenholz noch sein Gewissen, das sich tief in ihm drinnen heiser schrie.
Vom Kirchplatz her tönten, fern und verweht, die Glo cken herüber. In Gedanken zählte Julian die Schläge mit – acht, neun, zehn. Da endlich rappelte er sich auf. Wie wenn im Stockfinstern ein Licht angeht, so war ihm mit dem letzten Stundenschlag eine Idee gekommen. Ich muss zu Piet, dachte er, mein Freund weiß immer einen Rat. Piet wird mir helfen.
Aber wie kann dir denn der Bäckerlehrling helfen?, schrie es in seinem Innern. Geh nach Hause, Julian, schlag in deinem Buch nach, was Elisha Asmol über die Golems schreibt – alles andere ist doch jetzt vollkommen egal! Wenn Meister Justus morgen Nacht zum Hexendom hinausgeht und Lehm für die Erschaffung der Golems holt, dann ist ja bald alles zu Ende – nicht nur für dich, du dummer Famulus, sondern für die ganze Menschheit, für die Erde, für alle Zeit und Ewigkeit!
So zeterte seine innere Stimme, doch Julian hörte ihr nicht mal mit einem halben Ohr zu. Er schlüpfte in seine Schuhe, dann lief er immer an der Mauer des Hegendahl’schen Anwesens entlang, geradewegs auf das Cropliner Moor zu. Wo das Moor begann, endete zwangsläufig der Wald, und wenn er sich dort rechtzeitig nach links wandte und dem Waldrand folgte, würde er zur Stadt zurückgelangen.
Tatsächlich lief zunächst alles nach Julians Plan. Er stolperte auf den Waldrand zu, ohne ein einziges Mal in die Irre zu gehen. Nachtvögel schrien Alarm, Hexen ke ckerten und hin und wieder krachte es bedrohlich im Unterholz. Aber der Famulus nahm die unheimlichen Laute kaum wahr und so konnte er sich auch nicht allzu sehr vor ihnen fürchten. In Gedanken war er unablässig mit der Frage beschäftigt, wie er den Zorn des Großmächtigen Meisters besänftigen könnte. Aber es wollte ihm keine Lösung einfallen.
Das Moor zu seiner Rechten, trabte er bald darauf am Waldrand entlang auf das Städtchen zu. Schutzsuchend schienen sich die Häuser und Türme von Croplin im Dunkeln zusammenzudrängen. Doch viel bedrohlicher als alles, was dort draußen, im Moor oder im Hexenholz, lauern konnte, kam Julian die Gefahr vor, die von Meister Justus und den drei Lichtträgern ausging. Was kann ich nur machen, so überlegte er hin und her, damit der Großmächtige Meister seinen Zorn auf mich wieder begräbt? Nur aus Verehrung, aus Wissbegierde, um von Euch zu lernen, Meister Justus – nur deshalb hab ich mich ja erdreistet, bei Euch einzusteigen. Ah, was gäbe ich drum, wenn auch ich die Macht besäße, einen Golem zu erschaffen – alles, alles, dachte Julian, sogar meine Seligkeit.
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