Gößling, Andreas
Aber wenn mich die Lichtträger heute Nacht zu fassen bekommen, ist alles aus.
Solche Gedanken wälzend eilte er durch abendstille Gassen auf den kleinen Platz zu, wo das Haus des Moorgräf lichen Hofbäckers Heribert Wulf stand. Mittlerweile war elf Uhr schon vorbei. Bestimmt würde Piet tief und fest schlafen – schließlich musste er in der Frühe um drei wieder in der Backstube stehen. Aber Julian wusste, hinter welchem Fenster sein Freund gewöhnlich mit zwei weiteren Lehrjungen in einer Kammer nächtigte. Er würde ein paar Steinchen gegen den Holzladen werfen, so hatten sie es schon öfter gemacht. Piet würde aufwachen und am Efeugitter unter seinem Fenster zu ihm herabklettern.
So jedenfalls hatte Julian sich in Gedanken alles zurechtgelegt. Wie erschrak er aber, als er den kleinen Platz erreichte und gerade in diesem Moment drüben die Tür zum Bäckerhaus aufflog. Ein Lichtschwall ergoss sich nach draußen und eine hoch aufgeschossene Gestalt stolperte hinterdrein, ein Bündel im Arm. »Lass dich hier nie wieder blicken!«, hörte Julian den Bäckermeister schimpfen. Heribert Wulf keuchte und schnaufte. Der sonst so bedächtige Logenbruder schien außer sich vor Zorn. »Sonst sorge ich höchstselbst dafür, dass du mit den Ohren ans Stadttor genagelt wirst«, schrie er, »wie es sich für einen Dieb und Betrüger geziemt!«
Die Tür wurde zugeknallt, der Platz vor dem Backhaus lag wieder im Dunkeln. Julian war hinter einer Hausecke in Deckung gegangen. War es wirklich Piet, den der Bä ckermeister vor seinen Augen auf die Straße gesetzt hatte?
Vom Mondschein geisterhaft beleuchtet, warf der Junge dort drüben vor dem Backhaus sein Bündel über die Schulter und überquerte mit hurtigen Schritten den Platz. Er kam direkt auf Julian zu und er wirkte nicht im Geringsten bedrückt. Im Gegenteil – er begann sogar ein Lied zu pfeifen und dazu schnipste er mit den Fingern den Takt.
Erst als Piet schon fast an ihm vorbei war, trat Julian aus seinem Versteck hervor. »He, was machst du denn hier?«
Piet grinste ihn unbekümmert an. »Wulf hat mich rausgeschmissen – dabei hat er keinen Heller von seinem Schatz bei mir gefunden.«
»Keinen Heller?«
»Na ja …«, erwiderte Piet gedehnt. »Seltsamerweise hat er von dem Versteck neben meinem Bett gewusst – unter einer losen Diele im Boden. Da hat der Alte als Erstes nachgeschaut, und als er dort nichts gefunden hat, ist er erst recht wütend geworden. Er hat so lange in dem Loch rumgewühlt, bis er endlich einen halben Silberpfennig freigekratzt hat, der da drin in eine Ritze gerollt war. Weiß der Himmel, wann und wie.«
Wiederum wollten sein freches Grinsen und seine blit zenden Augen zu diesen Unschuldsbeteuerungen nicht so richtig passen. Das fand jedenfalls Marian – doch dem Famulus schien es im Moment herzlich egal zu sein, ob sein Freund ein Dieb war oder zu Unrecht verdächtigt wurde. »Was hast du jetzt vor?«, fragte er.
»Bei dir unterkriechen?«, schlug Piet grinsend vor.
Der Famulus hob erschrocken beide Hände. »Ganz ausgeschlossen – im Moment kann ich mich selbst kaum bei Lohenkamm sehen lassen.«
»Nanu?«, machte der ehemalige Bäckerlehrling. »Du hast dich doch nicht etwa mit deiner Jungfer überworfen?«
»Nein, nein. Ich erzähl’s dir später. Aber ich sag dir, wo wir beide unterkommen können – bei Odilo.«
Piet pfiff leise durch die Zähne. »Draußen im Spukschloss? Na, das wird lustig werden. Also, gehen wir?«
Doch der Famulus sah nur mit leerem Blick an seinem Freund vorbei und horchte in sich hinein.
»Huhu, Julian!«, machte Piet. »Nur weil wir zum Spukschloss gehen, musst du nicht selber anfangen, schlafzuwandeln.«
»Wie, was?« Der Famulus kam wieder zu sich. »Tust du mir einen Gefallen? Schleich rasch zu mir in die Kammer hoch und hol das Buch, das da zuoberst auf dem Bord liegt.«
»Bücherwurm!«, spottete Piet. »Kannst du es nicht mal eine Nacht ohne deine alten Schwarten aushalten? Aber meinetwegen, ich hol dir den Schmöker raus.«
Schulter an Schulter trabten sie durch die dunkle Stadt. Außer dem Klappern ihrer Sohlen war kein Laut zu hören. Erst als sie am Brunnen auf dem Kirchplatz waren, ergriff Piet wieder das Wort. »Wie heißt der Wälzer eigentlich – nur um sicherzugehen, dass ich mir den richtigen greife?«
Abermals lauschte der Famulus in sich hinein. »Der Pfad der Erleuchtung«, sagte er dann, »von einem Eingeweihten der Alchimie – sein Name ist Elisha Asmol.«
37
Am
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