Gößling, Andreas
großen Platz.
»Die Plaza Central – hier spielt sich alles ab«, sagte Maria.
Carmen wischte sich den Schweiß von der Stirn und blieb neben ihrer Mutter stehen. Die Plaza war schief wie ein Frisbee im Anflug und übersät mit Marktständen und Imbissbuden. Wie Georg ihr er-klärt hatte, war es der höchste Punkt der Insel. Normalerweise hatte man von hier einen idealen Blick über den See, aber im Durcheinander des Marktes konnte man keine drei Schritte weit sehen. Geschweige denn vernünftig miteinander reden – Leute, Tiere und Motoren machten einen wahnwitzigen Krach.
In der glühend heißen Luft mischten sich die Gerüche von Tier-fell und Gewürzen, Kokosmilch und Schweiß. Händler riefen ihre Waren aus, Musiker flöteten, trommelten und sangen. Schweine quiekten um ihr Leben, Hühner gackerten, Maulesel schrien. Schrottreife Autos rumpelten hupend mitten durch den Markt. Direkt neben ihnen war ein Taxi stehen geblieben und der Fahrer pries ihnen beharrlich seine Dienste an. »Señora, Señorita – Taxi, Taxi.« Dabei hatte Maria ihm durch eine unmissverständliche Geste bedeutet, dass er verschwinden sollte. Und jetzt begannen auch noch die Glocken der großen, blendend weißen Kirche auf der anderen Seite des Platzes zu läuten.
Maria beugte sich zu ihr herüber. »Der Telefonladen ist da drüben, hinter der Kirche«, schrie sie ihr ins Ohr. »Pass auf deine Tasche auf.«
Carmen presste ihre Handtasche mit dem Arm gegen ihre Seite.
Sie fühlte sich völlig verkrampft. Tausend Augen schienen sie anzustarren, als sie sich dicht hinter Maria in das verrückte Getümmel stürzte. Die Gänge zwischen den Buden waren so schmal, dass man kaum zwei Füße nebeneinander setzen konnte. Bananen und Ananas, Mais und Süßkartoffeln waren zu unglaublichen Haufen aufgetürmt.
In einer Bude zerschlug ein zahnloser Alter mit einer Axt Kokosnüsse. Lebende Schweine wurden angeboten und Hühner, die in Netzen und Körben zusammengeschnürt waren. Junge Männer schoben sich mit wiegenden Schritten durch die Menge, zwinkerten Carmen zu und boten Lotterielose an. Runzlige Mütterchen hockten am Boden, wimmerten aus eingefallenen Mündern und streckten unerhört schmutzige Bettlerhände aus. An einem Stand wurden verblichene T-Shirts, Jeans und sogar Büstenhalter und Boxershorts verkauft, offenbar gebrauchte Kleidung aus den USA. Nackte Kinder sprangen in Mengen umher und folgten wie Mückenschwärme den wenigen Weißen, die sich ins Gedränge wagten. Eine junge Frau stand hinter einer waghalsig aufgetürmten Mauer aus verbeulten Töpfen und Pfannen. Unablässig dröhnten die Glocken und die Leute bekreuzigten sich zwischendurch in Richtung der Kirche, um gleich danach weiter um Hühner oder Würste zu feilschen.
Ein finster blickender Mann trat Maria in den Weg und schwenkte kleine Plastiktüten, die seltsame schwarze Bröckchen enthielten.
Maria wedelte mit den Händen, wie um Fliegen zu verscheuchen, und der Mann wich mit noch grimmigerer Miene zur Seite. Haschisch?, dachte Carmen. Die Klümpchen sahen haargenau wie das Zeug aus, das sie einmal bei Nico gesehen hatte. Aber der Mann mit der dunklen Haut hatte überhaupt nicht wie ein Dealer gewirkt. Carmen nahm sich vor nachher Maria zu fragen, was es damit auf sich hatte. Im Moment konnte sie von Glück sagen, wenn sie ihre Mutter nicht aus den Augen verlor.
Warum auf einmal diese Eile?, dachte Carmen. Gerade fing sie an sich für ihre neue Umgebung zu interessieren, da rannte Maria wie eine Hürdenläuferin davon. Carmen hetzte hinter ihr her und hatte plötzlich wieder dieses ganz blöde Gefühl.
Als der Markt hinter ihnen lag, hörten schlagartig die Glocken auf zu läuten. Im Schatten der Kirche blieb Maria stehen und wartete, bis Carmen zu ihr aufgeschlossen hatte. Nach dem Lärm auf der Plaza kam ihr die Ruhe fast unwirklich vor.
»Herrje, warum rennst du denn so?« Carmen warf ihren Pferdeschwanz zurück und wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn.
»Der Telefonladen.« Maria deutete nach rechts, die steile Gasse hinunter. »Wir sollten uns ein wenig beeilen, cariña. Wenn ich mich richtig erinnere, hat er sonntags am Nachmittag zu.«
»Und das fällt dir jetzt ein?«
»Noch haben wir ja Mittag – mehr oder weniger.« Maria warf wieder einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Halb eins. Vielleicht haben wir ja Glück. Da drüben ist übrigens das Polizeipräsidium.«
Sie deutete auf ein wuchtiges Gebäude gegenüber der Kirche, dann nahm sie
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