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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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fest. Durch energische Handbewegungen forderte ihre Mutter den Mann mit dem Sombrero auf sich gefälligst zu beeilen. Typisch Maria, dachte Carmen und musste grinsen.
    Der Mann sprang ans Ufer und zog seinen Sombrero ab. Da erst fiel Carmen auf, dass er einen hellen, westlich geschnittenen Anzug trug. Er war von zierlicher Gestalt, wie die meisten Männer hier, und seine Haut war braun wie Milchkakao… Konnte das sein? Carmens Gedanken überstürzten sich. Das war der Mann vom Flughafen – oder nicht?
     
    Zweihundert Meter linker Hand gab es eine weitere Erhebung im Wasser, viel kleiner als die Insel, auf der Flores lag. Von Häusern und Türmen ragten Antennen und große Satellitenschüsseln in den Himmel – offenbar war es die lokale Rundfunkstation. Eben hob dort ein Hubschrauber ab und flog mit ohrenbetäubendem Krach über den See. Vom gegenüberliegenden Ufer näherte sich ein weiteres Motorboot, viel größer und schneller als der Kahn, in dem dieser Señor Gómez gekommen war. Auf einmal war die Luft von dröhnendem Lärm erfüllt. Wie im Stummfilm standen Maria und der zierliche Mann am Ufer und redeten gestikulierend aufeinander ein.
    Carmen war fünf Meter von ihnen entfernt und verstand trotzdem keine Silbe. Wie erstarrt stand sie im Mauerspalt und getraute sich nicht auch nur einen Schritt weiterzugehen. Oder zurück in die Bodega, wo sie auf Maria warten könnte, als ob nichts geschehen wäre – auch das war immer noch eine Möglichkeit.
    Eigentlich war ja gar nichts passiert, oder? Maria hatte ihr schon öfter von geheimen Treffen mit solchen Informanten erzählt. Meistens waren es Einheimische, die den Archäologen irgendwelche Hinweise auf angebliche Tempelstädte tief im Urwald zu verkaufen versuchten. Organisierte Schatzräuber durchstreiften ständig den Dschungel, auf der Suche nach unentdeckten Gräbern und Pyramiden. Wenn Wissenschaftler wie Maria einen Tipp bekamen, waren die Stätten meistens schon ausgeplündert. Aber die Archäologen ließen sich trotzdem immer wieder auf solche Treffen ein, da sie hofften zumindest die leeren Gemäuer vor weiterer Verwüstung retten zu können. Außerdem brannten sie alle darauf, eines Tages als Entdecker einer sagenhaften Ruinenstadt gefeiert zu werden.
    All das schoss Carmen durch den Kopf, während der Hubschrauber und das Motorboot um die Wette lärmten und der Mann mit dem hellen Anzug lautlos auf Maria einredete. Ihre Mutter lachte unhörbar auf und winkte in seine Richtung ab. Dann wandte sie sich sogar um, als ob sie ihn neben seinem Boot stehen lassen wollte. Für einen Moment glaubte Carmen, dass ihre Mutter sie gesehen hatte – sie hielt spürbar inne und starrte zu ihrem Mauerspalt herüber. Aber vielleicht hatte sie sich nur auf Gomez’ Worte konzentriert, der hinter ihrem Rücken unablässig weiterredete. Jetzt holte er ein kleines schlammfarbenes Bündel aus seiner Jackentasche, machte einen Schritt auf Carmen zu und stellte sich Maria in den Weg.
    Der Hubschrauber flog so flach über sie hinweg, dass Carmen das schnurrbärtige Gesicht des Piloten in seiner gläsernen Kanzel sehen konnte. Für einige Sekunden war nur der nervenzerfetzende Rotorenlärm zu hören. Auch Maria und Gomez hatten es aufgegeben, aufeinander einzuschreien. Stumm reichte er ihr das kleine Bündel, wortlos nahm sie es in die Hand. Aber ihre Körperhaltung ließ erkennen, dass sie es nur ganz unverbindlich entgegennahm, mehr aus Höflichkeit als aus wirklichem Interesse.
    Was immer es sein mochte, dachte Carmen. Und wer auch immer dieser Señor Gomez war. So angestrengt sie sich zu erinnern versuchte, sie wusste einfach nicht, ob es derselbe Mann war, den sie vorgestern Abend am Flughafen gesehen hatte. Beide hatten helle, westlich geschnittene Anzüge an, beide waren von zierlicher Gestalt, ungefähr Anfang dreißig und ihre Haut hatte eine hellbraune Färbung. Aber das traf bestimmt auf viele Männer in Guatemala zu und selbst in einem Nest wie Flores mochte es ein Dutzend von ihnen geben.
    Der Schweiß tropfte Carmen mittlerweile aus den Haaren, lief ihr in Bächen über Schläfen und den Nacken hinunter. Aber sie stand immer noch wie versteinert da und getraute sich nicht auch nur einen Zeh zu bewegen. Auf einmal war es wieder unwirklich still. Von dem Hubschrauber war nur noch ein ganz leises Quirlen in der Ferne zu hören. Hinter Maria, die nun mit dem Rücken zum See stand, glitt das Motorboot durchs Wasser. Vier Männer saßen darin. Aus irgendeinem Grund

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