Gößling, Andreas
ihm die Kehle durchschneiden? Sie schüttelte sich innerlich und wollte eben wieder zur Verandatür hinaus, als ihr Blick auf ihre Handtasche fiel.
Das arme Ding sah bejammernswert aus. Das schwarze Leder voll Schlamm-und Wasserflecken. Weit geöffnet lag die Tasche auf dem Küchentisch und Carmen konnte sich überhaupt nicht erinnern, sie dort hingelegt zu haben. Geschweige denn mit weit aufgerissener Klappe, als ob jemand sie hastig durchwühlt hätte.
Jemand? Auf einmal wurde ihr fast schlecht vor Aufregung.
Blödsinn, dachte Carmen, hier ist keiner, ich hab doch alles überprüft. Sie ging zum Tisch, zog die Tasche zu sich heran und leerte sie kurz entschlossen aus. Kugelschreiber, Schminkzeug, Lippenstift.
Die klebrigen Geldscheine, das tote Handy. Messer und Gabel, die irgendwie dazwischengeraten waren. Der Schlüsselbund und – das schlammfarbene Bündel, Gott sei Dank.
Carmen schlug das schmuddelige Tuch auf und sah auf die Maske hinunter. Für einen Moment war sie ganz sicher gewesen, dass die Maske nicht mehr da war. Dass jemand ins Haus gekommen war, während sie unter der Dusche stand, zielsicher ihre Tasche durchsucht hatte und mit seiner Beute schon wieder auf und davon war, während sie noch im Bad nach ihrer Haarbürste suchte. Aber sie hatte noch mal Glück gehabt. Obwohl sie sich furchtbar leichtsinnig benommen hatte. Um diese Maske drehte sich doch offenbar alles!
Gómez hatte sie Maria gegeben und Maria hatte sie ihr zugeworfen – wissentlich oder nicht. Jedenfalls wollte ihre Mutter, dass die Maske nicht in falsche Hände geriet. Und wahrscheinlich waren ihre Entführer doch gerade hinter diesem Stück her, dachte Carmen und nahm die Maske vorsichtig in die Hand. Sie war aus einem glatten Stein gefertigt und fühlte sich jetzt, da sie nicht mehr der Sonne ausgesetzt war, ganz kühl an. Kalt und schwerer, als es die Größe der Maske erwarten ließ. Zögernd drehte Carmen den kunstvoll bearbeiteten Stein in den Händen hin und her.
So etwas Seltsames hatte sie noch nie gesehen. Die Maske trug die Gesichtszüge eines jungen Mannes. Mit seinen üppigen Lippen, den hohen Backenknochen und der zurückweichenden Stirn hätte er recht anziehend ausgeschaut, wäre da nicht dieser finstere Blick gewesen. So grimmig wie überhaupt möglich starrte er Carmen an.
Sein Blick war niederdrückend und voller Verachtung. Oben aus dem Kopf wuchs ihm etwas Eigenartiges hervor, ein stämmiger Schaft, der mit leuchtend gelben Perlen bedeckt und unten von Knollen und Blättern umkränzt war.
Ein Maiskolben, dachte Carmen und schüttelte den Kopf. So ungefähr konnte sie sich schon vorstellen, was diese Maske darstellen sollte – einen Gott der Fruchtbarkeit, an den das Volk der Maya wahrscheinlich in grauer Vorzeit geglaubt hatte. Auch heute noch lebten die Leute hier in Guatemala hauptsächlich vom Maisanbau, wie Georg ihr erklärt hatte. Bestimmt hatten sie früher zu einem Gott gebetet, der ihnen eine gute Maisernte bescheren sollte, und das war eben dieser Gott gewesen – ein sehr anziehender, schrecklich finster dreinschauender junger Mann, dem ein Maiskolben aus dem Kopf wuchs.
Und heute war das also ein begehrtes Sammlerobjekt? Gomez hatte die Maske vielleicht irgendwo draußen im Wald ausgegraben und wollte sie Maria verkaufen. Aber die anderen Männer – die Jungs aus dem Boot – hatten genau das zu verhindern versucht. Warum? Weil sie selbst die Maske verscherbeln wollten? Na ja, weshalb sonst, dachte Carmen und riss sich endlich vom Anblick des maisgelben Gesichtes los. Die Augen dieses steinernen Gottes hatten etwas Hypnotisches. Zur gleichen Zeit wirkte er unangenehm, bedrängend – wie wenn einem jemand auf die Pelle rückte.
Sie wickelte die Maske wieder in das schmutzige Tuch ein. Der Alte im weißen Hemd und die vier Jungs aus dem Boot – sie alle hatten fast genauso grimmig dreingeschaut wie die gelbe Steinmaske. So als ob die heutigen Guatemalteken der alten Maisgottheit zumindest in diesem Punkt immer noch nacheiferten. Aber das war natürlich Unsinn. Niemand interessierte sich mehr für diesen uralten Plunder, für Göttermasken und Keramikscherben. Niemand außer Wissenschaftlern und Grabräubern.
Verdammt, jetzt hatte sie wegen diesem Maisgötzen auch noch ihre Maispfannkuchen kalt werden lassen! Aber trotzdem, da half alles nichts – erst musste sie die Maske an einem sicheren Ort verstecken. Denn was immer sich heute am Seeufer abgespielt haben mochte, eines stand ja wohl
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