Gößling, Andreas
fest: Die Entführer hatten Maria und wollten diese Maske haben. Nur wenn sie die bekämen, würden sie Maria freilassen. Also durfte die Maske auf keinen Fall in falsche Hände geraten – beispielsweise in die Finger dieses Cingalez.
Carmen nahm das schmuddelige Bündel in die Hand und sah sich suchend um. Im Haus gab es bestimmt kein Versteck, das einer entschlossenen Suche standhalten würde. Aber der Garten – das Gelände draußen war so riesig, dass man unmöglich alles umgraben konnte, nur weil man eine handtellergroße Steinmaske suchte.
Diesmal vergaß sie nicht Messer und Gabel mit auf die Veranda zu nehmen. Aber bevor sie sich über ihre Pfannkuchen hermachte, lief sie längere Zeit im Garten herum, der noch viel größer war, als sie geglaubt hatte. Überall wuchsen Palmen, Orangen-und Zitronenbäume. Blühende Büsche und Hecken voll fremdartiger Beeren. Der Hang hinunter bis zum See war von einer wilden Wiese überwuchert, aus der Blumen in allen vorstellbaren Farben wuchsen. Unter einer Kokospalme fand Carmen schließlich eine stark angerostete Schaufel. Damit hob sie hinter einem Busch ein kleines Loch aus und stopfte die Maske mitsamt dem Tuch hinein. Dann schaufelte sie alles sorgfältig zu und verteilte Laub und Zweige auf der Grabstelle, bis das ganze Beet wieder aussah, als ob sich seit Jahren kein Mensch darum gekümmert hätte.
Zufrieden kehrte sie zur Veranda zurück. Dann aber erstarrte sie, mit weit aufgerissenen Augen. Sie stieß sogar einen leisen Schrei aus. Ach du lieber Gott, dachte Carmen. Für einen Moment wurde ihr ganz schummrig. Mit allem hätte sie gerechnet – mit einer lachenden Maria oder einem zerknirschten Georg, mit den finsteren Bootsleuten oder selbst mit Paolo Cingalez. Aber nicht mit Señor Gómez’ Sombrero, der, riesengroß und bunt gemustert, mitten auf dem Verandatisch lag.
6
»Deine Mutter hat gestohlen«, sagte der Junge und sah Carmen finster an. »Das hätte sie nicht tun sollen!« Er stand mitten in ihrer Küche, eine Hand auf dem Tisch. In der anderen Hand hielt er eine dünne, knochenbleiche Flöte.
Das gibt es doch nicht, dachte Carmen. Auf ganz genau so einer Flöte hatte der eine Musikant am Isarufer gespielt. Und jetzt fing der Junge auch noch an in ihren Sachen herumzuwühlen, die mitsamt der Tasche auf dem Tisch verstreut lagen. Er machte ihr Schminketui auf und spähte hinein, nahm die Tasche in die Hand und schüttelte sie aus, mit der Öffnung nach unten.
»Nimm deine Finger da weg!«, sagte Carmen endlich. »Wenn hier jemand stehlen will, dann doch wohl du!«
Der Junge warf die Tasche auf den Tisch zurück. Er ging zum Küchenschrank und zog mit der linken Hand eine Schublade nach der anderen auf. Dabei ließ er Carmen nicht aus den Augen. Die Flöte in seiner Rechten hielt er wie eine Waffe auf sie gerichtet.
Allmählich fragte sich Carmen, ob dieser Typ vielleicht nicht ganz bei Verstand war. Er war nicht viel älter als sie, höchstens sieb-zehn oder achtzehn Jahre. Klein und zierlich wie die meisten Männer hierzulande, sodass er vielleicht nicht ganz so jung war, wie er in ihren Augen wirkte. Er trug Turnschuhe, verwaschene Jeans und ein schwarzes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln. Seine Haut hatte die Farbe von Kakao mit ganz wenig Milch. Im Halsausschnitt blinkte ein Goldkettchen. Sein Gesicht sah eigentlich ganz freundlich aus – braune Augen, kurze schwarze Haare, über der Oberlippe spross ein wenig dunkler Flaum.
»Wieso glaubst du denn, dass meine Mutter etwas genommen hätte, das dir gehört?«, fragte sie und machte einen Schritt auf ihn zu.
»Nicht mir.« Er fuchtelte mit der Flöte in ihre Richtung und wandte sich den Küchenschränken zu. Methodisch zog er eine Schranktür nach der anderen auf, spähte hinein und schüttelte immer wieder den Kopf.
Bestimmt hatte er beobachtet, wie dieser Gomez am Seeufer mit Maria zusammengetroffen war. Es konnte gar nicht anders sein!
Carmens Gedanken wirbelten. Genau wie sie selbst musste er irgendwo dort auf der Lauer gelegen haben – im Uferschilf oder in einem Bretterverschlag an der Hauswand, den sie jetzt vage vor sich auftauchen sah. Er hatte mit angesehen, wie Maria ihr das Bündel zugeworfen hatte und wie sie, Carmen, Hals über Kopf davongelaufen war. Dann hatte er den Sombrero von Gomez an sich genommen und war ihr bis hierher gefolgt. Und jetzt versuchte er Profit aus der Sache zu schlagen – ja, dachte Carmen, so muss es gewesen sein.
Wahrscheinlich wusste er
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