Gößling, Andreas
Straße in einen Sturzbach verwandelt hatte. Bei alldem Wasser konnte man überhaupt nicht erkennen, wo Pflastersteine und wo Schlaglöcher waren. Einmal war sie bis zu den Knöcheln in einem Schlammloch versunken. Die Wächter mit ihren Maschinenpistolen hatten ihr ganz seltsam hinterhergeschaut. Aber wenn Maria wirklich schon wieder zu Hause war, dann musste sie außer sich sein vor Sorge.
Doch während sie jetzt mit dem klirrenden Schlüsselbund an den Schlössern hantierte, war von ihrer Hoffnung nicht mehr viel übrig.
Was sie sich da nur wieder eingeredet hatte! Und jetzt klemmte auch noch dieses verdammte zweite Schloss! Wie sollte das denn überhaupt möglich sein – dass Maria wieder frei und zu Hause war? Sie hatte doch selbst gesehen, wie diese Typen ihre Mutter durch irgendeinen Trick betäubt und auf den riesigen See hinaus verschleppt hatten. Wütend stieß sie den Schlüssel tiefer ins Schloss – na also!
Endlich ließ er sich drehen. Auf einmal klopfte Carmens Herz wieder so wild wie eine Urwaldtrommel.
Wenn ihre Mutter nicht nach Hause gekommen war, dann hieß das doch, dass sie dort drinnen ganz allein sein würde – den restlichen Tag und die gesamte Nacht! In dem Haus mit den vielen nebeneinander liegenden Zimmern, die sie noch nicht einmal alle angesehen hatte. Und auf dem riesigen Grundstück mit seinen Wiesen und Büschen und Bäumen, das völlig unübersichtlich war. Auf drei Seiten war es von dieser hohen Mauer umgeben. Aber vom See her konnte jeder kommen und an ihrem wacklig aussehenden Holzsteg anlegen, falls er ein Boot besaß. Und wenn diese Jungs, die Maria verschleppt hatten, irgendetwas besaßen, dann doch wohl ein Boot!
Der Regen hatte urplötzlich aufgehört. Schon brannte die Sonne wieder vom blauen Himmel. Mit einem hässlichen Schnarren schnappte das dritte Schloss auf. Carmen blickte sich nach links und rechts um – auf der Straße war niemand zu sehen. Nur dampfende Häuser und glucksende Gullys, über denen sich schlammiges Wasser im Kreis drehte. Carmen atmete tief ein. Dann stieß sie das Tor auf und trat in den düsteren Hof.
Der Vorplatz war eine einzige Pfütze. Einer der Müllkübel an der linken Hofwand war umgefallen – wodurch? Weil jemand über die Mauer geklettert und von dort oben auf diesen Eimer gesprungen war? Carmen stand wie erstarrt da. Das offene Tor drückte gegen ihre Schulter. Am liebsten wäre sie gleich wieder weggerannt. Sei nicht kindisch, ermahnte sie sich und machte einen Schritt hinein in den Hof. Fetzen von Melonen-und Ananasschalen trieben auf der Brühe. Hinter ihr schlug mit einem dunklen Dröhnen das Eisentor zu.
Rasch lief sie durch die riesige Pfütze hinüber zur Haustür. Wieder musste sie den Schlüsselbund hervorkramen. Diesmal sprang das Schloss beim ersten Versuch auf. Carmen beschloss, es als gutes Zeichen zu nehmen, drückte die Klinke herunter und stieß die Haustür auf.
Im vorderen Teil des Bungalows gingen die Zimmer ineinander über, nur durch offene Türbögen getrennt. Vordiele, Wohnzimmer, dahinter die Küche. Überall Steinböden, zersprungen und abgewetzt. Altmodische Möbel standen einigermaßen wahllos in den Zimmern herum. Dunkle, hohe Schränke, ächzende Ledersessel, wacklige Korbstühle. Carmen lief von einem Raum zum anderen und schaltete überall Licht ein. Draußen war es noch heller Tag, aber bevor sie heute Mittag losgegangen waren, hatte Maria in allen Zimmern die Holzläden vor den Fenstern geschlossen.
»Hi, Maria!« Sie versuchte ihre Stimme unbekümmert klingen zu lassen. »Georg und ich sind wieder da!« Außerdem klapperte sie extra laut mit allem herum, was ihr in die Finger kam. Absichtlich stieß sie einen Stuhl an, ließ ihre durchgeweichten Sandalen auf den Steinboden fallen, rumpelte in der Küche umher und fand endlich in einer Schublade ein großes Messer. Der riesige Eisenherd, die Regale mit Pfannen und Töpfen, der Tisch mit den Schnitzereien – alles in dieser Küche schien mindestens hundert Jahre alt zu sein. Auch das Messer, dessen gezackte Klinge mit Rostflecken übersät war.
»Maria, wo steckst du denn? Georgs Fahrer ist auch mitgekommen!«
Keine Antwort. Im Gegenteil – nach jedem Ausruf, jedem Klappern schien die Stille im Haus noch tiefer zu werden. Vom Garten her erklangen das Zirpen der Grillen und die eigenartigen Rufe tropischer Vögel. Aber hier im Haus schien sich nichts zu rühren.
Das Messer war so lang wie Carmens Unterarm und lief vorn in einen spitzen
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