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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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das fühlte sich gut an. Sehr gut sogar. »Okay«, sagte Carmen und ging mit ihm auf die schwarzgrüne Wand des Dschungels zu.
     
    »Hier draußen war ich seit Monaten nicht mehr.« Pedro lief mal neben, mal vor oder hinter ihr, wie es der Pfad gerade erlaubte. »Für die Leute in Yax-kech sind wir so was wie Verlorene. Mein Vater, meine Schwestern und ich. Wie man lieber in der Stadt leben kann als hier draußen im Wald, werden sie nie kapieren. Wollen sie wohl auch nicht.«
    Vielleicht zwei oder drei Meter über ihnen verflochten sich Bäume und Schlingpflanzen zu einem Gewölbedach, das nur wenig Sonnenlicht durchsickern ließ. Aber abgesehen von diesem düsteren Grünlicht hatte sich Carmen den Dschungel viel Furcht einflößender vorgestellt. Bisher zumindest waren sie noch keinem einzigen er-schreckenden Tier begegnet – außer Taranteln und anderen Riesen-spinnen, die durch Laub und Unterholz flitzten. Sie war froh um ihre festen Turnschuhe. Bäume und Buschwerk bildeten regelrechte
    Wände zu beiden Seiten ihres Weges. Ein undurchdringliches Geschlinge aus Ästen, Zweigen, Blättern. Da kam bestimmt kein Jaguar oder sonstiges Raubtier durch.
    »Für die meisten meiner Onkels oder Cousins im Dorf bin ich einfach eine Lachnummer.« Pedro, der mittlerweile wieder vor ihr ging, drehte sich im Laufen einmal um sich selbst und hob Schultern und Hände, als ob er sagen wollte: Tja, so ist es nun mal. »Der dumme Bursche aus der Stadt, der eine Tarantel nicht mehr von einem Skorpion unterscheiden kann. Für die Älteren im Dorf sind mein Vater oder ich aber was viel Schlimmeres: Verräter.« Der Pfad verbreiterte sich ein wenig und Pedro wartete, bis Carmen zu ihm aufgeschlossen hatte. »Frag meinen Großvater.« Er deutete nach vorn, wo der alte Mann und Yeeb-ek ihnen in zehn Schritten Entfernung voraneilten. »Er hält mir jeden Tag dreimal vor, dass ich mich den bleichen Vernichtern ergeben hätte, statt für unsere Befreiung zu kämpfen.«
    »Den bleichen Vernichtern? Das sind wahrscheinlich Leute wie ich?« Carmen versuchte zu lachen, aber es kam nur ein Krächzen heraus. Der Großvater wurde ihr immer unheimlicher. Barfuß, nur mit diesem weißen Hemd bekleidet, lief er ihnen leichtfüßig voran und redete dabei immer wieder auf seinen Hund ein. In einer Sprache, die laut Pedro Itzaj hieß und zu den mehr als zwanzig Maya-Sprachen gehörte, die heute so gut wie vor tausend Jahren im Land gesprochen wurden. Über zehn Millionen Maya-Nachfahren lebten angeblich allein hier in Guatemala. Die meisten von ihnen in traditionellen Dörfern wie diesem Yax-kech, das sie hoffentlich bald mal erreichen würden. Sonst falle ich hier auf diesem Pfad um und Pedro muss mich weiterschleppen, dachte Carmen und träumte dieser Vorstellung einen Moment lang hinterher.
    »Na ja, die bleichen Vernichter, das sind vor allem Leute wie deine Mutter. Oder auch wie dein Vater. Die den Wald zerstören und überall lärmende Maschinen hinstellen, wo früher die Sprache der Götter zu hören war.« Pedro zuckte mit den Schultern und machte ein zerquältes Gesicht – als ob auch irgendwo in seinem Innern die alten Götter mit den neuen Maschinen haderten.
    »Wieso lebt ihr denn überhaupt in Santa Elena?«, fragte Carmen.
    Hoffentlich hatte sie Pedro damit nicht wieder irgendwie verletzt.
    Was seine Herkunft, die Maya-Vergangenheit und all das anging, war er ja ziemlich empfindlich. »Ich meine«, fügte sie hinzu, weil er sie nur düster ansah, »wenn doch alle anderen aus eurer Familie hier draußen wohnen?«
    »Mein Vater war der Erste unserer Sippe, der aus Yax-kech weggegangen ist.« Pedro stopfte die Hände in seine Jeanstaschen, zog sie wieder heraus und sah sie an wie zwei kleine braune Tiere, die ihm zugelaufen waren. »Bestimmt wäre er auch bis ans Ende seines Lebens hier draußen geblieben. Als Jäger und Harzsammler, wie alle unsere Vorfahren und Ururahnen davor. Aber dann hatte er mal ein grausiges Erlebnis – ein Jaguar hat in der Nacht seinen besten Freund aufgefressen, der direkt neben ihm in einer Hängematte lag.
    Als Chicleros haben sie immer unter freiem Himmel übernachtet, aber nach diesem Zwischenfall…«
    Pedro redete weiter und weiter, doch Carmen hörte ihm nicht mehr zu. Ihre Gedanken schlugen wieder mal Saltos.
    Wie oft kam so etwas vor? Zwei Chicleros, die im Wald übernachteten, ein Jaguar, der einen der beiden fraß, worauf der andere Mann in die Stadt ging und dort als Fahrer arbeitete – wie Pedros

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