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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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Armaturen, legten hier einen Hebel um oder drehten dort an einem Schalter. Und Carmens Herz sank mit jedem Mal noch ein wenig tiefer, bis sie es schließlich in ihrer linken Kniekehle pochen fühlte.
    Kurz darauf wurden die Reisenden gebeten sich für die Landung in Flores bereitzumachen. Da die Lautsprecheranlage defekt war, drehte sich der Kopilot einfach um und schrie seine Anweisungen in den Passagierraum. Unter ihnen endete unvermittelt der Urwald und ein riesiger, leuchtend blauer See erstreckte sich bis zum Horizont.
    Der Lago de Petén Itzá. Der zweitgrößte See Guatemalas, wie Maria ihr erklärt hatte. Und die winzige Insel am Rand des Sees, bedeckt mit einer Hand voll weiß und rot in der Sonne blitzender Häuser – das sollte doch nicht etwa Flores sein? Die Provinzhauptstadt Flores immerhin, die größte Stadt im Tiefland von Guatemala, wie Georg beteuert hatte.
    Ach du lieber Gott, dachte Carmen, während die Piloten vor ihr todesmutig an den Armaturen schraubten und ihre Maschine wie ein Stein zu fallen begann. In haarsträubendem Tempo rasten sie auf ein Durcheinander aus Wellblechhütten und schmalen Sträßchen zu, das sich wie ein buntes Geschwür am Ufer des Sees dahinzog. Aus dem Funkgerät drangen knarzende Kommandos. Der Pilot schrie Dios mió! und schaltete das Funkgerät ab.
    So tief trudelten sie nun über der Siedlung, dass Carmen Autos, Motorräder und sogar Eselskarren unterschied, die sich in Gassen und auf Kreuzungen drängten. Dazwischen sprangen Hunde und nackte Kinder umher. Auf flachen Hausdächern wuchsen Blumen und flatterte Wäsche in langen Reihen. Leute zu Fuß schleppten Säcke oder Reisigbündel auf dem Rücken. Am Uferweg stieg heller Qualm aus Imbissbuden auf. Auf dem See trieben Kähne mit flatternden Sonnendächern.
    Dann plötzlich war unter ihnen nur noch ein blassblaues Asphalt-band, von Rissen durchzogen, aus denen Gras und Blumen wuchsen.
    Mit einem gewaltigen Stoß, der Carmens Herz in ihre Brust zurück-schnellen ließ, setzte die Maschine auf. Mit jeder Faser ächzend und quietschend, rumpelten sie auf ein lang gestrecktes Gebäude zu, das wie ein übergroßer Hühnerstall aussah. Dahinter dehnte sich wieder der Urwald.
    Der Kopilot drehte sich zu ihnen um und schrie: »Willkommen auf dem internationalen Flughafen Santa Elena in Flores, Guatemala.
    Es ist fünf Uhr abends Ortszeit, die lokale Temperatur beträgt 35 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit achtzig Prozent.«
    Noch während sie im Schritttempo auf den Hangar zurollten, begannen die Fensterscheiben zu beschlagen. Carmen fuhr sich mit der Hand über ihren Arm – ihre Haut war feucht, als ob sie durch Niesel-regen gelaufen wäre.
    Dann schaltete der Pilot die Propellermotoren aus. Hinten wurde die Tür aufgerissen und wie eine Flutwelle drangen die Gerüche und Geräusche des Dschungels herein. Auf einmal spürte Carmen ein Kribbeln wie von tausend Termiten in ihrem Bauch – wie zuletzt, als Nicos Finger ihre Wange berührt hatten. Und plötzlich konnte sie es kaum erwarten, aus der Maschine herauszukommen, damit ihr Urwaldabenteuer endlich begann.
     
    Hinter ihren Eltern stolperte Carmen über das Rollfeld. Die feucht-heiße Luft wickelte sich wie eine Decke um sie und erstickte gleich wieder alle Abenteuerlust. Seit sechzehn Stunden waren sie jetzt unterwegs. Carmen fühlte sich stumpf vor Müdigkeit und zugleich wie innerlich wund gerieben. Jeder Laut, jeder Sonnenstrahl stach nadelspitz auf sie ein.
    Vor dem Eingang zur Ankunftshalle standen zwei Soldaten mit Maschinenpistolen. Hinter den anderen Reisenden trotteten sie durch einen Gang, der aus deckenhohen Brettern gezimmert war. Nach einer Biegung wurde es plötzlich stockfinster.
    »Dios mio!«, hörte Carmen. Ein anderer Mann rief: »Verflucht, schon wieder Stromausfall.«
    Besonders erbost über dieses Malheur schien niemand. Nach kurzer Zeit wurden Notlampen herbeigeschafft und Carmen sah, dass sie vor einem Schalter mit der Aufschrift »Einreise – Passkontrolle« standen.
    »Deinen Pass, cariña«, sagte Maria und lächelte sie im Halbdunkel an. Ihre Mutter sah aus wie ein Geist – die Haare zerrauft, das Gesicht grünbleich vor Übermüdung.
    »Meinen Pass?«, wiederholte Carmen. Kalter Schreck kroch ihren Rücken hinab. Dann begann sie in ihrer Handtasche zu wühlen.
    Glücklicherweise ging im gleichen Moment das Licht wieder an.
    Neonröhren beschienen die schäbige Ankunftshalle und das Durcheinander in Carmens Handtasche, in dem unter

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