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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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nicht von vorn bis hinten anlügst?« Carmen wusste ja selbst nicht mehr, was Lüge und was Traum war, was Wunschdenken oder Wirklichkeit. Sie hatte doch gar keine Ahnung, wo diese verdammten Göttersachen verbuddelt waren! Was für ein Wahnsinn! Sollte sie diesen Leuten vielleicht erzählen, was sie über das Versteck geträumt hatte? Aber Ixkulam hatte es ja genauso gemacht, dachte sie dann wieder. Sie hatte von dieser Mondgöttin geträumt und gleich ein ganz neues Leben angefangen – so als ob sie eine unzweifelhaft wahre Nachricht bekommen hätte. Oder sollten auch das alles nur Lügen gewesen sein?
    Verzweifelt überlegte Carmen hin und her. Ixkulam sah sie die ganze Zeit über nur schweigend an. Die Fackel flackerte, als ob sie gleich ausgehen wollte. Endlich gab sich Carmen einen Ruck. »Meine Mutter hat die Sachen irgendwo im Wald vergraben«, sagte sie.
    »Ich weiß auch nicht genau, wo diese Stelle ist. Aber ich hab davon geträumt, Ixkulam – drei Mal, genau wie du! Und diese Stelle muss ja irgendwo hier im Wald sein und ihr kennt doch hier jeden Baum und jede Lichtung im Schlaf.« Sie versuchte zu lächeln. Es fühlte sich an, als ob ihr Gesicht auseinander reißen würde. »Und wenn ich euch die Stelle ganz genau beschreibe – dann müssten wir das Versteck doch finden!«
    Für einen winzigen Moment sah Carmen den ungläubigen Schrecken in Ixkulams Gesicht, dann setzte die Priesterin wieder ihre Lächelmaske auf. »Geträumt?« Von draußen war leises Tapsen zu hören, wie von Schritten, die rasch näher kamen. Ixkulam erhob sich und ging zur Tür. »Ich muss mit Ixkasaj über alles reden – möglichst sofort.« Die Schritte tapsten jetzt draußen durch den Gang. »Sowieso fängt gleich mein Tempeldienst an«, sagte sie. »Da draußen kommen schon die Priesterinnen zurück, deren Dienst für heute endet.« Sie sah über die Schulter zu Carmen zurück. »Bleib im Haus, geh auf keinen Fall raus in die Stadt. Bleib am besten sogar hier in meiner Kammer. Sobald ich mit unserer obersten Priesterin geredet habe, komme ich zurück und erzähle dir, was sie gesagt hat.«

16
     
    Kaum war Carmen allein in der kleinen Kammer, da fiel die Angst über sie her. Übermächtig wie ein Jaguar, ungreifbar wie ein Geist.
    Sie werden uns alle umbringen!, dachte sie. Maria und mich, Pedro und seinen Vater Xavier! Uns mit ihren schwarzen Messern die Hälse durchschneiden. Oder würden sie ihnen das Herz aus der Brust hacken, bei lebendigem Leib, wie es ihre Priester schon vor tausend Jahren gemacht hatten? Aber was soll ich denn jetzt nur tun?, dachte Carmen. Wir kommen hier nicht mehr raus! Niemand weiß, wo ich überhaupt bin. Und ob wir ihren heiligen Kram dabeihaben oder nicht – sie wollen uns ja auf jeden Fall umbringen!
    Sie schwitzte am ganzen Körper. Dabei war es in dieser steinernen Kammer sogar eher kühl. Das silbrige Gewand klebte ihr auf der Haut. Das Herz raste ihr in der Brust wie ein tobsüchtiger Vogel.
    Carmen legte sich auf die Steinbank und versuchte gleichmäßig zu atmen. Ein und aus. Und wieder ein. Sie schnappte nach Luft wie eine Ertrinkende. Ihr Herz wollte sich einfach nicht beruhigen. Das liegt an diesem engen Zimmerchen, dachte sie. Sie lag ja hier unter der Erde praktisch schon wie in einem Grab! Außerdem war die Bank so hart, dass ihr jetzt schon alles wehtat. Und da sollte sie Stunden und Stunden hier unten auf Ixkulam warten? Das kommt doch überhaupt nicht in Frage, dachte sie. Bald würde schon wieder die Nacht hereinbrechen. Meine letzte Nacht!, dachte Carmen und hätte beinahe aufgeheult. Aber das können sie doch nicht machen!, dachte sie dann wieder. Das können wir uns doch nicht einfach so gefallen lassen! Sie setzte sich wieder hin und sah sich in der Kammer um. Kahle Wände, überall Flecken, als ob die Mauern von innen heraus schwitzten. Die Fackel neben der Tür war schon fast ganz heruntergebrannt.
    Wenn doch wenigstens Pedro bei ihr wäre. Der würde zwar bestimmt wieder nur große Augen machen und mit den Schultern zucken, wenn sie ihn fragte, was sie jetzt anfangen sollten. Eine besonders tolle Hilfe war Pedro wirklich nicht. Ja, er war sogar alles andere als ein Held. Aber das war doch sowieso das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnte: einen Helden. Nein, Pedro, dachte sie, dein Lächeln brauch ich jetzt, deine Arme, die sich um mich legen und mich festhalten, ganz, ganz fest. Niemals hatte sie sich verlorener, schutzloser, verängstigter gefühlt. Ach, Pedro, was

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