Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
diesen Gefährten in schweren Tagen.
Sein Vortrag, angenehm und konsequent, fand bei einem jungen Menschen leicht Gehör, der durch eine verdrießliche Krankheit von irdischen Dingen abgesondert, die Lebhaftigkeit seines Geistes gegen die himmlischen zu wenden höchst erwünscht fand.
Der persönliche Umgang mit Langer und der anschließende Briefverkehr wird beim jungen Goethe noch nachwirken bei seinen späteren Versuchen mit der Frömmigkeit.
Goethes Zustand besserte sich. Im August 1768 endlich wagte er sich wieder ins Freie. Ausgezehrt, dünn, bleich wie ein Gespenst schlich er umher. So schildert er sich selbst, wenige Wochen nach seiner Abreise in einem Brief an Friederike Oeser, die Tochter des Malers. Sie war es auch, die den Kranken ziemlich robust aufzurichten versucht hatte. Sie
empfing mich mit großem Jauchzen, und wollte sich zu Tode lachen, wie ein Mensch die Karikaturidee haben konnte, im 20sten Jahre an der Lungensucht zu sterben!
Am 28. August 1768, seinem neunzehnten Geburtstag, reist Goethe ab. Er steht vor Kätchens Haus, geht nicht hinein, nimmt keinen Abschied. Immer noch krank und schwach, von Langer mit ein wenig Himmelstrost versehen, verläßt er Leipzig. Ein trauriger Student ohne Abschluß.
Anmerkungen
Drittes Kapitel
Nachklang aus Leipzig. »Die Mitschuldigen«. Krankheit.
Wege zur Religion. Versuch mit der Frömmigkeit. Zwei Mentoren:
Langer und Susanna von Klettenberg. Ohne Sündenbewußtsein.
Der fromme Magier. Das Krankenzimmer wird zum Labor.
Die Suche nach chemischen Offenbarungen.
In einer Bemerkung von 1810, die nicht in die Autobiographie aufgenommen wurde, reflektiert der sechzigjährige Goethe das Mißverhältnis zwischen der Leichtigkeit, mit der er sich in den Jugendjahren die Gesetze und Muster im Poetischen, Rhetorischen und Theatralischen anzueignen vermochte, und den Schwierigkeiten beim Versuch, das Leben selbst in eine gelingende Form zu bringen. Hier fehlte ihm die
Magnetnadel, die mir um so nötiger gewesen wäre
,
da ich jederzeit bei einigermaßen günstigem Winde mit vollen Segeln fuhr, und also jeden Augenblick zu stranden Gefahr lief
. Das Schicksal habe ihm zwar
treffliche Mentoren
gesandt, doch leider hätten sie ihm unterschiedliche Richtungen gewiesen.
Der Eine setzte die Hauptmaxime des Lebens in die Gutmütigkeit und Zartheit, der andre in eine gewisse Gewandtheit, der dritte in Gleichgültigkeit und Leichtsinn, der vierte in Frömmigkeit, der fünfte in Fleiß und pflichtmäßige Tätigkeit, der folgende in eine imperturbable Heiterkeit und immer so fort, sodaß ich vor meinem zwanzigsten Jahre fast die Schulen sämtlicher Moral-Philosophen durchlaufen hatte
.
Die Lehren und Haltungen, die ihm nacheinander oder auch gleichzeitig nahegelegt wurden, mußten sich vor allem dann widersprechen, wenn sie jeweils zum Hauptprinzip erhoben wurden und ihm das Gespür für das jeweils richtige Maß fehlte, wodurch sie hätten gegeneinander ausgeglichen werden können. Er habe, schreibt er, in den Jugendjahren sich stets ganz in etwas hineingeworfen,
heiter, frei und lebhaft
. Das Moderieren und Abklären sei noch nicht seine Sache gewesen. Das kam später.
Das Jahr 1769 bedeutete für den jungen Goethe ein Moratorium. Die
Mentoren
dieses Jahres waren, wie wir gleich sehen werden, die religiösen. Das äußere Leben stockte. Ungewiß war, ob er überhaupt wieder richtig auf die Beine kommen würde. Er empfand sich zeitweilig als Todeskandidat. Es kann gut sein, schreibt er am Ende 1768 an Kätchen Schönkopf, daß er noch
vor Ostern
stirbt. Man soll ihn in Leipzig begraben, dann soll Kätchen an seinem Namenstag das abgeschiedene
Johannismännchen
besuchen. Für den Fall, daß er am Leben bleibt, weiß er nicht, wie es mit ihm weitergehen soll. Er möchte gerne nach Paris, um zu sehen,
wie sich das französche Leben lebt
. Von der Fortsetzung der juristischen Ausbildung ist kaum die Rede, obwohl der Vater darauf besteht und seine Enttäuschung darüber nicht verbergen kann,
anstatt eines rüstigen, tätigen Sohns, der nun promovieren und jene vorgeschriebene Lebensbahn durchlaufen sollte, einen Kränkling zu finden
.
Nicht nur der Vater, auch er selbst ist mit sich nicht zufrieden. Er liest noch einmal seine Briefe durch, die er aus Leipzig geschrieben und die der Vater sorgfältig abgeheftet hatte. Er bemerkt darin einen
gewissen selbstgefälligen Dünkel
, eine
Nachäfferei
des vornehmen Tons. Die zahlreichen Gedichte, die den Briefen beigegeben
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