Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
13. September 1808 starb Goethes Mutter. Er erfuhr davon am 17. September, am Tag seiner Rückkehr vom Kuraufenthalt in Karlsbad. Im Tagebuch ist die Todesnachricht mit keinem Wort vermerkt. In seiner näheren Umgebung wunderte man sich, daß er nicht darüber reden mochte. Auch in den Briefen findet sich fast kein Wort dazu.
Der Tod meiner teuren Mutter hat den Eintritt nach Weimar mir sehr getrübt
, schreibt er lakonisch an Silvie von Ziegesar, und in einem Brief an einen Frankfurter Bekannten heißt es, man habe
menschlicher Weise bei ihrem hohen Alter ein herannahendes Ende befürchten
müssen.
In »Dichtung und Wahrheit« wird Goethe seinen Vater stets
der Vater
nennen, die Mutter aber
meine Mutter.
Der Vater wird dort respektvoll, doch auch kritisch dargestellt. Pedanterie und Starrsinn macht er ihm zum Vorwurf. Der Mutter aber wird fast nur mit Liebe gedacht. Und doch hat er sie selten besucht, insgesamt nur viermal – 1779 auf dem Weg in die Schweiz, 1792 und 1793, als er den Herzog bei den Feldzügen gegen Frankreich begleitete, und zuletzt 1797 bei der dritten Reise in die Schweiz. Die Mutter ließ sich ihre Enttäuschung über die seltenen Besuche nicht anmerken und machte ihm keine Vorwürfe. Sie schrieb ihm unverdrossen und häufig, und er war von ihren lebendigen und anschaulichen Briefen so entzückt, daß er sie herumreichte und gelegentlich sogar vorlas. Einmal ließ er Charlotte von Stein einen Brief der Mutter zukommen mit der Bemerkung:
Mit einem guten Morgen schick ich meiner besten einen Brief von meiner Mutter, um sich an dem Leben drinne zu ergötzen
. Er schrieb ihr seltener, dann aber ausführlich. Es finden sich unter den Briefen an die Mutter aufschlußreiche Selbstcharakteristiken, etwa die bereits zitierte über die
Weite und Geschwindigkeit
seines Wesens. Er werde in Weimar bleiben, fährt er in jenem Brief fort, er sei guten Mutes, da er
freiwillig
in Weimar sei; er könne jederzeit abreisen,
um das notdürftige und Angenehme des Lebens, mit einer unbedingten Ruhe, bei Ihnen wieder zu finden.
Das war im Jahr 1781. Die Mutter hätte es gerne gesehen, wenn er zurückgekehrt wäre. Doch sie lag ihm weder damals noch später mit ihren Wünschen und Sehnsüchten in den Ohren. Gerne hätte sie ihn auch wohl einmal in Weimar besucht, obwohl sie ungern reiste. Der Sohn jedoch lud sie nicht ein, nur einmal bot er ihr Zuflucht an in den Wirren des Krieges, was sie dann aber nicht in Anspruch nehmen mußte.
In Weimar, wo man ihre Briefe las, stand Goethes Mutter in hohem Ansehen. Anna Amalia suchte von sich aus die Verbindung zu ihr, die beiden befreundeten sich und wechselten Briefe, was Goethe mit Stolz erfüllte. Anna Amalia und der Herzog besuchten die Mutter auch gelegentlich. Die Mutter hielt ein offenes Haus, solange sie noch am Hirschgraben wohnte. Allen Freunden und Bekannten Goethes war sie eine liebenswürdige Gastgeberin. Doch Goethe scheute sich, sie nach Weimar einzuladen oder gar auf Dauer zu sich zu holen. Er war überzeugt, sie würde bei der Verpflanzung ihre eigentliche Lebenskraft verlieren. So konnte er sie mit gutem Gewissen auf Distanz halten.
Die Verbindung zu Christiane und die Geburt des Sohnes hatte er der Mutter nicht sogleich mitgeteilt. Sie erfuhr davon zuerst durch andere. Und doch grollte sie dem Sohn nicht, und wenn sie ihm gegenüber Christiane den »Bettschatz« nannte, war das durchaus nicht herabsetzend gemeint. Der Enkelsohn wurde regelmäßig mit voluminösen Geschenkpaketen bedacht. Sie hielt sich an einen Grundsatz, den sie Charlotte von Stein gegenüber einmal so formulierte: »Ich habe die Menschen sehr lieb – 〈...〉 bemoralisiere niemand – suche immer die gute seite auszuspähen – überlasse die schlimme dem der den Menschen schufe und der es am besten versteht, die scharfen Ecken abzuschleifen.«
Sie nahm regen Anteil an Goethes literarischen Werken, las und kommentierte sie und verschenkte sie stolz an ihre Frankfurter Bekannten und Freunde. Sie erzählte ihm auch von den umlaufenden Urteilen und Meinungen über den berühmten Sohn der Stadt. Da sie viel in Gesellschaft herumkam und auch oft im Theater war, hatte sie einiges zu berichten. In einem ihrer letzten Briefe nennt sie die ersten Bände der Cottaschen Gesamtausgabe, »herzerquickend«, und rühmt besonders die Balladen, »Die Braut von Corinth« oder »Der Gott und die Bajadere«. Ihr gefiel es immer, wenn es erotisch zugeht. Sie gehörte nicht zu denen, die an den »Römischen
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