Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Elegien« Anstoß nahm. In ihrem letzten Brief vor dem Tod legte sie noch ein gutes Wort für August ein. Man solle ihn nicht mit Aufforderungen zum Briefeschreiben »plagen«, die jungen Leute hätten anderes im Sinn, bitte ihretwegen keine »Daumen Schrauben«!
Goethe ließ sich die Umstände ihres Sterbens genau schildern. Katharina Elisabeth hatte sich tapfer gezeigt und bis zuletzt ihren Witz bewiesen, wie auch sonst im Leben. Am Sterbebett war der Sargtischler erschienen, um Maß zu nehmen. Sie sprach ihm ihr Bedauern aus, weil sie schon alles angeordnet hätte und er nun unverrichteter Dinge wieder abziehen müsse. Am Ende war sie sanft entschlummert.
In den letzten zwei Jahren hatte die junge Bettine Brentano, die Tochter der Maximiliane, in die Goethe einst auch ein wenig verliebt gewesen war, die Verbindung zwischen Goethe und seiner Mutter enger geknüpft. Sie ließ sich von Goethes Mutter Kindheitsszenen erzählen, schrieb sie auf und schickte sie an Goethe, der sie sorgfältig sammelte. Bettine, die Goethe mit schwärmerischer Verliebtheit verehrte, brachte nach Goethes Tod ein Buch heraus, »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde«. Es enthielt mehr Dichtung als Wahrheit. Bettines ursprüngliche Aufzeichnungen von den Erzählungen der Mutter leisteten ihm bei den vorbereitenden Arbeiten an »Dichtung und Wahrheit« gute Dienste. Seine Kindheits- und Jugenderinnerungen wurden aufgefrischt. Darum ermunterte er Bettine, die Mutter auch weiterhin unverdrossen zu befragen:
Und nun hoffe ich bald Nachricht wie Sie die gute Mutter gefunden haben
〈...〉
und was für Unterhaltungen im Gange sind
.
Im Oktober 1809, ein Jahr nach dem Tod der Mutter, beginnt er laut Tagebuch mit dem ersten Entwurf eines Schemas für die Autobiographie. Er sucht alte Aufzeichnungen und Briefe hervor. In den Tagebüchern hatte er zumeist nur äußere Daten festgehalten. Die wenigen ausführlicheren Selbstbetrachtungen stechen hervor, wie die folgende, die über Bedeutung wegen noch einmal zitiert sein soll:
Stiller Rückblick aufs Leben auf die Verworrenheit, Betriebsamkeit Wißbegierde der Jugend, wie sie überall herumschweift um etwas befriedigendes zu finden. Wie ich besonders in Geheimnissen, dunklen Imaginativen Verhaltnissen eine Wollust gefunden habe.
〈...〉
Wie des Tuns, auch des Zweckmäßigen Denkens und Dichtens so wenig, wie in zeitverderbender Empfindung und Schatten Leidenschaft gar viel Tage vertan, wie wenig mir davon zu Nutz kommen
und da die Hälfte des Lebens nun vorüber ist, wie nun kein Weg zurückgelegt sondern vielmehr ich nur dastehe wie einer der sich aus dem Wasser rettet und den die Sonne anfängt wohltätig abzutrocknen.
Das war eine Eintragung vom Oktober 1779. Damals glaubte Goethe, auf ein Leben in Unordnung, Verwirrung und Verschwendung zurückblicken zu müssen, auf ein Scheitern und eine Rettung, die ihm von außen kam. Als er dreißig Jahre später mit der Autobiographie beginnt, sieht er die Jugendzeit nicht mehr in so düsterem Licht. Er sieht sich jetzt eher so, wie er es drei Jahre nach der deprimierenden Bilanz in einem Brief an Knebel festhält. Es herrscht nicht mehr die große Verwirrung, er fühlt sich innerlich gehalten und geführt:
Im innersten meiner Plane und Vorsätze, und Unternehmungen bleib ich mir geheimnisvoll selbst getreu und knüpfe so wieder mein gesellschaftliches, politisches, moralisches und poetisches Leben in einen verborgenen Knoten zusammen.
Goethe gibt nicht vor, diesen geheimnisvollen Knoten, der sein Leben zusammenhält, genau zu kennen, doch er ist sich sicher, daß es ihn gibt und daß man ihn finden muß, wenn man eine Biographie oder eine Autobiographie schreiben will. In einem Brief an Zelter heißt es, in der Regel würden in Biographien das Gute und das Böse, das Gelungene und Mißlungene
mit heuchlerischer Gerechtigkeit
einfach nebeneinander gestellt. Doch ohne ein geistiges Band würde die Persönlichkeit zerstört,
die nur in der lebendigen Vereinigung solcher entgegengesetzten Eigenschaften gedacht werden kann
.
Goethe lebte aus seinem produktiven Zentrum, doch es wuchs in ihm das Bedürfnis, deutlicher zu begreifen, wie und woraus er lebt. Er war auf der Suche nach seinem
verborgenen Knoten
. Auch in diesem Sinne hatte ihn der Umgang mit Schiller angeregt. Schiller hatte ihn so glänzend zu charakterisieren vermocht. Er bedankte sich bei dem Freund mit der Bemerkung, Schiller habe ihn auf sich selbst aufmerksam gemacht. So ist es kein
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