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Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)

Titel: Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rüdiger Safranski
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ihrer
gehaltreichen Tiefe
Gestalten hervorbringt und mit
gleichgültiger Hand
wieder
austilgt.
Ähnlich hat einst Heraklit das Wirken der Natur beschrieben als das eines Kindes, das wie im Spiel etwas aufbaut und wieder zertrümmert.
    Wer will, kann die Verklärung des Liebespaars im Bilde des Heiligen als letztes Wort des Autors verstehen. Gleichwohl bleibt sein Hinweis auf die schauerliche Ambivalenz der Natur bestehen. Kluge Leser damals haben Goethe auch so verstanden. Karl Friedrich von Reinhard schrieb ihm am 10. Februar 1810, nach der ersten Lektüre des Romans: »Spiritualistisch freilich sind Ihre Charaktere und Ereignisse nicht 〈...〉 Indessen wenn wir jemals zu einer tiefern Kenntnis der Geheimnisse unsrer Natur gelangen, so daß wir im Stande sind, uns davon Rechenschaft abzulegen, so ist es möglich, daß Ihr Buch alsdann als eine wunderbare Antizipation von Wahrheiten dastehe, von denen wir jetzt nur eine dunkle Ahndung haben.«
    Es geht um die noch längst nicht begriffene Natur des Menschen, das sieht Reinhard richtig. Er schafft sich sittliche Lebensformen, aber da gibt es noch diese rätselhaften Leidenschaften. Sie mögen im sittlichen Sinne bisweilen keine Berechtigung haben, doch ahnt man, daß hier das Leben am lebendigsten ist.
    Goethe hat keinen Roman zur Verteidigung der Ehe geschrieben, was ihm manche zum Vorwurf machten, doch auch nicht einen zur Verteidigung der Leidenschaften. Für jemanden, der einst als Poet des ›Sturm und Drang‹ aufgetreten war, läge das vielleicht nahe, denn Leidenschaften sind poetisch einfach attraktiver, weil eben mehr Leben in ihnen ist. Aber müssen sie deshalb auch noch verteidigt werden? Sind sie nicht stark genug, sich selbst zur Geltung zu bringen? So ist es. Sie brauchen keine Verteidigung, und es ist töricht, ihnen auch noch mit irgendwelchen Rationalisierungen beizuspringen. Genauso töricht aber ist das Verhalten des
Mittlers
im Roman. Er wirkt fast schon als Karikatur einer Verteidigung des sittlichen Prinzips. Er kommt, wenn man ihn nicht braucht, und wenn man ihn braucht, ist er nicht da. Er heißt
Mittler
, aber er kann in Wahrheit nicht vermitteln, weil er nur das Reich der Sittlichkeit kennt, die Leidenschaften aber ignoriert er, aus Angst vor ihnen. So kann er auch die sittliche Kultur nicht verteidigen, weil er zu wenig vom Leben versteht.
    Werfen wir noch einen letzten Blick auf Ottilie. Sie hört nicht auf, Eduard zu lieben. Doch sie entsagt, was bedeutet: Sie verzichtet darauf, diese Liebe zu realisieren. Dieser Verzicht aber wird sie schließlich töten. Die Liebe zu realisieren, würde bedeutet haben, mit dem Gefühl der Schuld zu leben. Auch das würde sie schließlich umgebracht haben. Und so wird sie zur tragischen Figur im Konflikt zwischen der Natur des Begehrens und der Natur der Sittlichkeit. Davon erzählt dieser Roman.
    Das Thema der Entsagung wird von nun an in Goethes Werk eine große Rolle spielen. Doch die heilige Ottilie ist nicht der Weisheit letzter Schluß. Goethe wird nach lebbaren Formen der Entsagung Ausschau halten.
    Das beginnt schon mit dem kurz nach dem Roman entstandenen Gedicht »Das Tagebuch«, das Goethe nur unter Männern bisweilen vorlas, doch schriftlich keinem anvertraute. Es ist zu Lebzeiten nicht erschienen, auch nicht in der Ausgabe letzter Hand. Das Gedicht ist die komödiantisch-burleske Antwort auf die Tragödie der »Wahlverwandtschaften«. Auch in dem Gedicht ist der Magnetismus der Geschlechterliebe das Thema, doch es geht hier physischer und physiologischer zu und der Verlauf ist ein anderer.
Wir hören’s oft und glauben’s wohl am Ende / Das Menschenherz sei ewig unergründlich / Und wie man auch sich hin und wieder wende / So sei der Christe wie der Heide sündlich. / Und nehmen’s mit der Lehre nicht empfindlich: / Denn zeigt sich auch ein Daemon uns versuchend / So waltet was, gerettet ist die Tugend.
    Das Gedicht erzählt im Folgenden, was es genau ist, das die Tugend
rettet.
Ein Reisender, der sich auf die Heimkehr freut, wird durch einen Kutschenunfall aufgehalten. Im Gasthaus gerät er in eine heikle Situation, denn allzu verführerisch sind die Reize einer schönen Bedienerin. Das alles wird breit, witzig und genüßlich geschildert. Schließlich liegen die beiden im Bett. Doch bei dem Mann regt sich nichts, der
Meister
bleibt liegen. Doch umgekehrt wie beim
Ehebruch im Ehebett
in den »Wahlverwandtschaften« ist der
Meister Iste
erst auf dem Posten, wenn der Reisende, um sich

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