Goethe - Kunstwerk des Lebens: Biografie (German Edition)
Erzieher, rühmt sich zwar seiner Erfolge, muß aber doch zugeben:
Seine Lust in den Weg zu scheißen / Hab nicht können aus der Wurzel reißen.
Goethe hat diese unvollendet gebliebene Farce nicht veröffentlicht, und er wird sie Lili wohl auch nicht zu lesen gegeben haben. Der
Fastnachts Goethe
aber hatte sein Vergnügen daran.
Lili war eine junge Dame mit viel Gefühl, sehr hübsch, mit natürlicher Anmut doch auch kokett, klug, von der Männerwelt umworben. Rundum eine gute Partie. Wenn sie zusammen mit Goethe auftrat, auch er immerhin ein schöner und begehrter junger Mann, war das in den Frankfurter Häusern ein Ereignis, von dem man sprach. Und es wurde viel geredet, so viel, daß der Druck von außen immer größer wurde. Wie es zwischen den beiden im einzelnen zuging, wissen wir nicht. Es wird das Auf und Ab der Gefühle gewesen sein, wie es Goethe Gustchen gegenüber darstellt. Bei den Schönemanns sah man es bald nicht mehr so gerne, wenn Lili und Goethe zusammen waren, solange er sich immer noch nicht deutlich erklärt hatte. Deshalb trafen die beiden sich im nahen Offenbach auf dem Landgut eines Onkels von Lili. Ein Freund Goethes, der Komponist André, lebte auch dort, und so verbrachte man heitere, manchmal sogar unbeschwerte Sommertage. Ein dort entstandenes Gedicht schildert, wie Lili im Park die Tiere füttert und einen Bären am Seidenfaden hält, der ihr ganz ergeben ist, ihr Liebhaber, den sie
zahm gemacht. /
Bis auf einen gewissen Punkt versteht sich!
Doch es blieb eine leidige Entscheidungssituation – sollte es auf eine Ehe hinauslaufen? In einem Lilis Onkel gewidmeten Gedicht heißt es über eine mögliche Hochzeit:
Was hilft mir nun das Glockengebrumm, / Das Kutschengerassel, und Leut Gesumm! / Was tät ich in der Kirche gar? / Da ich schon einmal im Himmel war
. Goethe scheute noch die dauerhafte Bindung, doch wollte er Lili auch nicht verlieren. Lili war auf einnehmende aber auch bedrängende Weise wirklich, anders als Gustchen, die in ihren Briefen und sonst nur in seiner Phantasie existierte. Phantasie war natürlich auch im Verhältnis zu Lili im Spiel. Es spricht einiges dafür, daß die beiden romantische Fluchtpläne schmiedeten. Eine Kutsche wartet im Morgengrauen, und dann auf und davon, vielleicht sogar nach Amerika. Goethe deutet in »Dichtung und Wahrheit« so etwas an, und Lili, die spätere Frau von Türckheim, hat im hohen Alter einer Bekannten gegenüber Goethe den »Schöpfer ihrer moralischen Existenz« genannt, weil er ihre Bereitschaft, ihm »Pflicht und Tugendgefühl« aufzuopfern, nicht ausgenutzt habe.
In dieser Situation traf es sich gut, daß Gustchens Brüder, Friedrich Leopold und Christian zu Stolberg, eine Reise in die Schweiz antraten und Goethe einluden, mitzukommen. Die beiden jungen Grafen gehörten zum Kreis um Klopstock und zum ›Göttinger Hain‹, wo man die Empfindsamkeit pflegte. Besonders Fritz zu Stolberg war ein schöner Jüngling mit entsprechend selbstbewußtem Auftreten, belebender Mittelpunkt, wo er auch war, umschwärmt von Männern und Frauen. Goethe ließ sich für die Reise gewinnen, denn er suchte Abstand zu den erotischen Verwicklungen, und außerdem ließ sich die Reise gut verbinden mit einem Besuch bei der Schwester im südbadischen Emmendingen. Die Eltern hatten ihn schon einige Zeit gedrängt, die Schwester, von der man Betrübliches hörte, endlich einmal zu besuchen, zumal da sie vor kurzem ihr erstes Töchterchen geboren hatte. Goethe fühlte sich in die Pflicht genommen, obwohl er den seelischen Kümmernissen der Schwester auch ganz gerne ausgewichen wäre.
Mitte Mai 1775 brach die Reisegruppe auf. In Straßburg besuchte Goethe Salzmann und traf Lenz, der ihn sehnsüchtig erwartet hatte. Lenz hatte inzwischen nicht nur ebenfalls eine Beziehung zu Friederike Brion angeknüpft, sondern auch zu Cornelia. Er blieb also auf den Spuren Goethes und begleitete ihn jetzt auch von Straßburg nach Emmendingen. Es waren schöne Tage, die Schwester lebte auf. Man unternahm lange Spaziergänge und saß bis in die tiefe Nacht beieinander, ungewöhnlich für Cornelia, die zuvor ja kaum mehr aus dem Bett herausgekommen war. Goethe genoß die angeregte Atmosphäre, bemerkte aber auch die jammervolle Lage der Schwester, und es war ihm schwer ums Herz, als er Emmendingen verließ. Verstimmt war er auch, weil Cornelia herabsetzend über Lili gesprochen hatte. Er spürte die Eifersucht der Schwester, eine alte Geschichte zwischen ihnen, denn
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